Diese Predigt habe ich das erste Mal in meiner Heimatgemeinde am 17.03.2013 gehalten.
Wohl jedes Volk hat eine wechselvolle Geschichte. Helle und dunkle Tage, gute und schlechte Zeiten, Auf und Ab.
Auch das deutsche Volk macht da keine Ausnahme. Es gibt Gutes und weniger Gutes, auch wirklich Schlechtes, ja Böses zu erzählen.
Eine der dunkelsten Zeiten war wohl das sogenannte tausendjährige Reich, das Gott sei Dank nur 12 Jahre Bestand hatte.
Der totale Wahnsinn herrschte in diesen Jahren. So mancher lehnte sich dagegen auf.
Stauffenberg, dieser Name ist eines der Sinnbilder für den Widerstand gegen den Wahnsinn, der da vor allem in der Gestalt eines Mannes tobte, Adolf Hitler. Und Stauffenberg wollte sein Volk von diesem Wahnsinn befreien. Er war der Meinung, es sei besser, einer solle sterben als das ganze Volk zugrunde gehen. Sein Plan ging nicht ganz auf – Hitler überlebte das Attentat, mancher würde sagen, durch einen dummen Zufall.
Eine ganz ähnliche Meinung wie Stauffenberg im Jahre 1944 äußerte fast zweitausend Jahre zuvor in Jerusalem ein gewisser Kaiphas, seines Zeichens Hohepriester im Tempel.
Ich lese unseren heutigen Predigttext. Er steht im Johannesevangelium Kapitel 11,47-53:
47 Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen.
48 Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.
49 Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in dem Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts;
50 ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe.
51 Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in dem Jahr Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk
52 und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen.
53 Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten.
Amen.
Mancher wird jetzt vielleicht sagen: Dieser Vergleich hinkt. Einen größeren Gegensatz kann man sich wohl kaum vorstellen – hier Jesus, da Hitler – und beide sollen sterben, um ein Volk zu retten?
Ja, dieser Vergleich hinkt wirklich.
Ich hörte vor einigen Tagen die Nachricht von einer jungen Frau, die an Mukoviszidose erkrankt war. Aufgrund dieser Krankheit war vor allem die Lunge in Mitleidenschaft gezogen. Sie brauchte eine Spenderlunge. Diese wurde gefunden und das Organ wurde ihr eingesetzt. Was sie nicht wusste und was ihr auch verschwiegen wurde: es war die Lunge eines Kettenrauchers, bereits stark geschädigt und eigentlich nicht mehr für eine Transplantation geeignet. Ein halbes Jahr nach der Transplantation starb die junge Frau im Alter von 29 Jahren an Lungenkrebs.
Menschen maßen sich an, über das Wohl und Wehe eines anderen Menschen zu bestimmen. Das zeigt dann solche Auswüchse, die an fahrlässige Tötung oder sogar Mord heranreichen.
Stauffenberg hatte mit seinen Plänen das Wohl seines Volkes im Sinn. Doch seine Pläne gingen nicht auf. Einen Tag nach dem missglückten Attentat wurde er hingerichtet. Warum? Diese Frage stellt sich wohl automatisch.
Gott sagt in Jesaja 55,8: Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege.
Der Zeitplan Gottes sah nicht vor, dass durch dieses Attentat die Welt von dem Diktator befreit würde.
Ganz anders war es zu Jesu Zeiten:
Unser Predigttext ist eingebettet zwischen zwei Geschichten, die beide in Betanien geschehen. Beide handeln von drei Geschwistern mit Namen Lazarus, Marta und Maria.
Die Vorgeschichte ist die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus durch Jesus. Bereits vier Tage im Grabe liegend, hat sein Leichnam natürlich schon längst begonnen zu verwesen. Jesus überwindet nicht nur den Tod, sondern auch die Verwesung – Lazarus wird ein Neuanfang geschenkt, ein neues Leben. Nach diesem Wunder glauben viele an Jesus, glauben, dass er wirklich Gottes Sohn ist, glauben an seine Vollmacht.
Und die Priester und Pharisäer? Die sehen ihre Felle im wahrsten Sinne des Wortes wegschwimmen!
Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen.
Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.
Es hat sich herumgesprochen, dass Jesus Zeichen und Wunder tut. Das Volk sieht zu ihm auf, die Leute strömen hin, um ihn zu sehen und zu hören, um mit eigenen Augen mitzuerleben, was das für ein Mensch ist, was er alles kann, wie er spricht, mit welcher Macht er Kranke heilt, sogar Tote auferweckt oder böse Geister austreibt.
Das alles ist den Priestern und Pharisäern bekannt, es ist ihnen ein Dorn im Auge. Sie wissen, was Jesus alles möglich ist, und dennoch weigern sie sich, ihn als Sohn Gottes anzuerkennen. Sie wollen nicht an ihn glauben. Sie bekommen Angst, dass dieser Jesus sich selbst zum König ausrufen könnte. Dann wäre es wahrscheinlich mit ihrer eigenen Macht, mit ihrem Status am Ende. Und wer verzichtet schon gern auf seine Vormachtstellung….Die Priester und Pharisäer jedenfalls nicht.
Und wenn die Menschen Jesus als ihren König anerkennen – dann besteht die Gefahr, dass die Römer kommen und mit ihren Legionen das ganze Land besetzen, weil sie denken, ein Aufrührer will das Römische Reich stürzen. Also müssen die Priester und Pharisäer sich etwas überlegen, sie müssen eingreifen, bevor es zu spät ist.
Da meldet sich der Oberste in ihren Reihen zu Wort:
Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in dem Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts; ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe.
Es gibt das Sprichwort vom „Bauernopfer“ – aus dem Schachspiel übernommen, bezeichnet es die Preisgabe einer einzelnen Figur. Damit soll ein anderweitiger Vorteil erreicht werden. Oder es wird ein drohender noch schwerer wiegender Verlust verhindert.
Kaiphas will hier offensichtlich sein Volk retten – zumindest behauptet er das. Sicher hat auch er Angst um seine Position. Immerhin ist er der höchste Würdenträger seiner Zeit. Und das volle zehn Jahre lang. Und auch er hat nicht im Sinn, darauf freiwillig zu verzichten, solange es sich vermeiden lässt. So spricht er aus, was alle denken: Jesus soll sterben, damit das Volk nicht kaputt geht. Fast könnte man meinen, Kaiphas hat verstanden, dass Jesus für die Menschen stirbt, und warum es geschieht – als Stellvertreter für alle Sünder, die den Tod verdient haben.
Doch das ist ein Trugschluss. Kaiphas hat in keiner Weise verstanden und anerkannt, warum Jesus in die Welt gekommen ist. Jesus soll sterben, nicht nur weil er den Obersten Machthabern die Macht streitig machen könnte, sondern auch, weil er überhaupt nicht in ihre Pläne passt. Obwohl Jesus in vielen Dingen genau das erfüllt, was in den Schriften steht –
Ich denke da zum Beispiel an den Einzug in Jerusalem, als er auf einem Esel reitet und damit das Wort aus Sacharja umsetzt (Sacharja 9,9): „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.“
Obwohl also Jesus die Schriften erfüllt, wird er abgelehnt, er ist viel zu unbequem. So hat man sich das offensichtlich doch nicht vorgestellt. Auch Kaiphas lehnt Jesus aus tiefstem Herzen ab, hat nicht verstanden, oder er will nicht akzeptieren, dass Jesus der ist, von dem in den alten Schriften die Rede ist, dass Jesus der versprochene Retter ist, den so viele Propheten angekündigt haben.
Der nächste Vers unseres Predigttextes zeigt das deutlich.
Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in dem Jahr Hoherpriester war, weissagte er.
Er weissagte, so steht es hier. Das heißt, er hat sich das nicht einfach ausgedacht, sondern es wurde ihm eingegeben. Er wird als Werkzeug gebraucht, um den Willen des Herrn zu verkünden. Dabei ist er sich seiner Rolle gar nicht bewusst, sondern er glaubt, einen besonders intelligenten Vorschlag zu machen – ein besonders gut durchdachtes Komplott zu schmieden. Bringen wir den einen um, der alle aufwiegelt, dann werden wir unserer Macht wieder sicher sein können, dann wenden sich die Menschen wieder uns und unserer Lehre zu, so sind seine Gedanken.
Wie sieht es damit heute bei uns aus? Würden wir anders reagieren als die Menschen damals? Oder wäre Jesus auch uns unbequem, wäre er uns im Weg, als einer, der sagt, wo etwas nicht in Ordnung ist mit uns, als einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt? Und die Wunder, die er tut – würden wir heute glauben, wenn wir nicht das wüssten, was wir inzwischen wissen?
Es ist leicht, die damaligen Menschen zu verurteilen mit dem Wissen von heute.
Zu mir hat vor kurzem jemand gesagt bzw. geschrieben, er wünschte, ich zitiere ihn wörtlich: „Oft wünschte ich, in dieser Zeit gelebt zu haben oder noch besser in der Apostelzeit.“ Doch ich habe ihm geantwortet: „mir drängt sich jetzt allerdings die Frage auf, ob wir damals nicht genauso wie viele andere eben NICHT geglaubt hätten. Unser heutiges Wissen haben wir ja nur deshalb, weil die Zeit vergangen ist und wir wissen, was dann noch alles passierte…
Wie sagte doch Sören Kierkegaard so schön? „Lebe vorwärts, verstehe rückwärts…““ Wir haben den großen Vorteil, dass wir die schriftlichen Zeugnisse vor uns haben, die Bibel, das Alte und das Neue Testament. Damit wissen wir, dass es passieren musste, was passiert ist. Wir wissen heute, wie es weiterging. Wir wissen, dass selbst dieses Komplott in Gottes Plan passte, dass es hinein gehörte, dass es gar nicht anders sein konnte.
Denn Jesus sollte sterben für das Volk und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen.
Hier schimmert schon ein Glanz der Osterbotschaft hindurch – die Verheißung der Rettung durch das Opfer, das Jesus mit seinem Tod vollbracht hat…Jesus sollte sterben für das Volk…Das ist der große Plan, den Gott mit uns hat.
Und noch etwas klingt hier an –
Viele Jahrhunderte vor unserem Geschehen hatten 10 Brüder ihren verhassten Bruder Joseph in die Sklaverei verkauft – er musste unmenschliches Unrecht erdulden, blieb dabei immer seinem Gott treu, was ihm weiteres Unrecht einbrachte…Und doch war er das Werkzeug, das den Vater und die Brüder vor dem Verhungern während der langjährigen Hungersnot rettete. Ein böser Plan, den die Brüder in ihrem Neid, ihrer Rachsucht ausheckten, ging für alle Beteiligten gut aus. Der Zeitplan Gottes war ganz anders, als sie es sich ausdachten, als sie es sich vorstellten. Joseph sagte damals zu seinen Brüdern die Worte „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen!“
Genau das sagt der Vers: Jesus sollte sterben für das Volk und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen.
Die verstreuten Kinder Gottes zusammenbringen – das schließt jetzt alle ein. Das ist eine Vorausschau auf das Wort Jesu, das er zum Abschied zu seinen Jüngern spricht:
Matthäus 28,19.20: „gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Alle Völker – die verstreuten Kinder Gottes – das sind auch wir. Welch große Gnade erfahren wir hier. Wir sind eingeladen zum Leben, unser Gastgeber ist Gott. Seine Liebe will er uns geben, ist das nicht ein Angebot? heißt es in einem Lied. Grenzenlose Liebe, das ist das Motiv, das hinter allem steht.
Und eine Frau versucht schon zu Jesu Lebzeiten ihm die Liebe zurückzugeben, wenn auch mehr symbolisch:
Ich habe vorhin bereits gesagt, dass unser Text eingebettet ist in zwei Geschichten, die in Betanien spielen, mit denselben Personen. Diesmal ist Maria die Aktive, als sie Jesu Füße salbt mit kostbarem Nardenöl. Damit schafft sie sich Ärger mit den Jüngern, allen voran Judas. Und Jesus ist ihr Fürsprecher und weist darauf hin, dass sie ihn nicht immer bei sich haben werden. Eine Vorausschau auf seine Himmelfahrt, sein Zurückkehren zum Vater.
Unser Predigttext schließt mit den lapidaren Worten: Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten.
Ein Mordkomplott – und sie wissen nicht, dass sie nichts anderes als den Willen Gottes erfüllen.
Jesus muss sterben – und sie denken, sie sind schlau. Doch Jesus muss sterben, damit wir leben können – das wissen und begreifen sie nicht. Noch einmal – wir haben keinen Grund, verächtlich auf diese Menschen von damals herabzusehen oder sie zu verurteilen. Sie waren Werkzeuge, die nichts anderes taten, als den Plan Gottes zur Rettung aller Menschen umzusetzen – auch wenn sie es sich in keiner Weise dessen bewusst waren.
Jesus hat einmal gesagt: Johannes 13,7: „Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.“
Lasst uns dankbar sein, dass wir diese Gnade erfahren durften, dass der Zeitplan Gottes immer stimmt, auch wenn wir nicht alles sofort verstehen.
Amen.