Lea – ewig ungeliebt?
Bei der Ausarbeitung dieser Andacht habe ich die Zeitschrift „für heute“ genutzt.
Warum läuft es in Bezug auf die Liebe nicht glatt für Lea? Ist Hochschätzung der romantischen Liebe eine Erfindung der westlichen Kultur, eine moderne Erfindung also, wie die der Dampfmaschine oder des Kugelschreibers? Vielleicht! Aber gegeben hat es das offenbar schon im alten Israel – mit allen dazugehörigen Verwicklungen und Herzeleid. Dass die „große Liebe“ trotzdem nicht alles im Leben ist, sehen wir an Leas Geschichte. Gott weiß auch für die Ungeliebte einen Weg und gestaltet mit ihr, weil sie bereit ist, ihm zu vertrauen.
1. Mose 29,31 heißt es: „Als aber der Herr sah, dass Lea ungeliebt war, machte er sie fruchtbar.“
Jakob begegnet seiner großen Liebe an einem Brunnen. Der Funke aus Jakobs Augen springt auf Rahel über, es ist Liebe auf den ersten Blick. Kein Strohfeuer, das auflodert, sondern der Beginn einer lebenslangen leidenschaftlichen Verbindung.
Aber wie früher auch hierzulande und noch heute in vielen Gesellschaften weltweit üblich, wurde damals auf die romantische Liebe nicht viel Rücksicht genommen. Als Rahel nach Hause eilt und erregt von ihrer Begegnung mit Jakob berichtet, der zugleich ein Verwandter ist, da ist auch ihr Vater, Laban, interessiert, geht Jakob entgegen und führt ihn in sein Haus. In das Haus, wo auch Rahels ältere Schwester Lea lebt.
Erinnern wir uns an die Geschichte von Rebekka – da wurde der Laban auch schon erwähnt. Er war der Bruder der Rebekka und schon bei ihrer Verheiratung aktiv beteiligt.
Für Laban ist Lea die erste Hochzeitskandidatin, wenn er seine Töchter verheiraten wird. Immer schön der Reihe nach. Ein Angehöriger seines eigenen Hauses kommt ihm da gerade recht. Dazu erfahren wir noch, dass Rahel schön von Gestalt und von schönem Ansehen war. Von Lea dagegen hören wir nur, dass ihre Augen matt waren. Mehr scheint es über sie nicht zu sagen zu geben.
Jakob berichtet, warum er da ist und um Asyl bittet: Er hat seinen Bruder Esau mit List um das Erstgeburtsrecht gebracht und musste darum vor dessen Rache fliehen. Laban gestattet ihm zu bleiben – erinnern wir uns an die Geschichte, die Rebekka erzählt hat.
Natürlich sieht der Vater, was nicht zu übersehen ist: Jakob hatte Rahel liebgewonnen. Für Lea hat er keinen Blick. Laban, ganz fürsorglicher Vater, setzt auf eine List: Er vereinbart mit Jakob, dass er sieben Jahre um seine geliebte Rahel dienen soll. Als die sieben Jahre um sind, bekommt Jakob seinen Lohn. Er heiratet und verbringt die Nacht mit seiner frisch angetrauten Frau. Offenbar im Dunkeln, denn am Morgen – siehe – da war es Lea.
Nirgendwo wird erwähnt, dass Lea gefragt wurde, ob sie einverstanden ist, den Cousin zu heiraten. Aber vielleicht war sie ja auch ganz glücklich, trotz ihrer nicht ganz vorhandenen Attraktivität einen Mann abzubekommen.
Jakob wirft Laban Betrug vor. Der aber verweist auf den Brauch, die jüngere nicht vor der älteren zu verheiraten. Weil sich Jakob notgedrungen nochmals für sieben Jahre Dienst verpflichtet, bekommt er trotzdem auch Rahel zur Frau. „Und er hatte die Rahel lieber als die Lea“, heißt es lapidar.
Für Lea beginnt damit eine schwere Zeit. Denn auch sie hat sich inzwischen in Jakob verliebt und wünscht sich Gegenliebe. Erfolglos. Aber sie wird entschädigt. Der Herr schenkt ihr von Jakob vier Söhne, indessen die geliebte Rahel ihren Kinderwunsch nicht erfüllt bekommt.
Lea freilich hofft nach jeder Geburt, dass sich Jakob ihr jetzt nicht nur in Pflicht, sondern aus Liebe zuwende – vergeblich. Mit den Namen ihrer Kinder drückt sie ihre Sehnsucht aus.
Ruben: Der Herr hat mein Elend angesehen. – Gewiss wird mich jetzt mein Mann lieben.
Simeon: Der Herr hat mich gehört – dass ich ungeliebt bin.
Levi: Jetzt endlich wird mein Mann mir anhängen – weil ich ihm drei Söhne geboren habe.
Der Herr schenkt ihr auch einen vierten Sohn, Juda: Diesmal will ich den Herrn preisen.
Lea muss Gott also im Gebet ihr Herz ausgeschüttet haben, sonst hätte er sie ja nicht erhören können. Sie war somit offensichtlich eine glaubensvolle Frau. Und nun spürt sie keinen Mangel mehr, sondern der Herr hat ihr Leben reich gemacht.
„Dann hörte sie auf zu gebären“, heißt es. Später wird sie noch Issaschar und Sebulon das Leben schenken, dazu der einzigen Tochter Jakobs, Dina. Wer möchte da noch behaupten, Lea blieb ewig ungeliebt.
Die Geschichte ist aber nach Judas Geburt nicht zu Ende. Lea gibt, als ihr Mutterschoß verschlossen bleibt, Jakob ihre Magd Silpa zur Frau, die die Söhne Gad und Asser zur Welt bringt. Der Erzähler belässt es dabei, bewertet die Vorgänge nicht, noch zieht er sie mit frommen Worten ans Licht.
Die Geschichte wiederholt sich – ich kann es nur immer wieder feststellen. Wem fällt hier nicht die Geschichte von der Magd Hagar ein, die Abram zu einem Sohn verhelfen musste, weil Sara keine Geduld mehr hatte.
Aber in diese lange und verzwickte Geschichte gehören auch Mose als Nachkomme Levis und der König David aus dem Stamm Juda. Nach seiner menschlichen Seite ist Jesus, der Sohn Gottes, ein Nachkomme Davids. Lea ist eine der beiden Ahnmütter des späteren Israel und Mutter von sechs seiner Stammväter. Ob sie das über ihr Leid als ungeliebte Ehefrau hinwegtrösten konnte?
Als Jakob in hohem Alter Abschied von seinen Söhnen nimmt, gebietet er ihnen, ihn bei seinen Vorfahren in der Höhle auf dem Feld Machpela gegenüber Mamre im Land Kanaan zu begraben.
Dort hatte er auch Lea begraben. So kommt es, dass Lea ihre Ruhestätte findet, wo alle Erzväter und Erzmütter versammelt sind. Sie ist nicht vergessen, und Gottes Segen steht erkennbar über ihrem Leben.
Auch und gerade, weil ihr versagt blieb, was Menschen, die sich lieben, einander sein können, hat Gott ihr Leben so reich gemacht, dass es uns allen zum Segen geworden ist.
Wie verschieden unsere Tage und Wege auch sein mögen – über allem steht Gottes Liebe, von der der Apostel Johannes bezeugt:
Johannes 3,16
Das ist Gottes ewige Liebe. Ja, wir sind mehr geliebt, als wir wissen. Ganz egal, ob wir Lea heißen oder nicht.
Einhundert Prozent!
Lasst uns das Lied singen, das von Lea selbst gedichtet sein könnte: Nummer 308 aus dem EmK-Gesangbuch „Das Höchste meines Lebens ist: dich kennen, Herr.“
Wir beten:
Danke, Vater, dass du alle Menschen liebst. Auch die, die sich nicht geliebt fühlen oder denken, sie seien vergessen.
Du siehst alle, dir ist nichts verborgen. Leas Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür. Gib uns, dass wir die Augen offenhalten für die Liebe, die du für uns hast. Amen.
Zum Segen erheben wir uns:
Möge die Liebe Gottes unsere Welt umhüllen.
Möge der Friede Gottes unsere Herzen erfüllen.
Möge die sanfte Güte Gottes jedes Gemüt erfassen
und in Liebe die zusammenführen, die sich bisher hassten.
Mögen alle Menschen dieser Welt die Güte unseres lieben Gottes erfahren.
Mögen wir diese Liebe jeden Tag im Herzen erneuern und bewahren. Amen.