Vom Seufzen

SAMSUNG CAMERA PICTURESDiese Predigt habe ich das erste Mal in den beiden Gemeinden Kirchberg und Hartmannsdorf bei Zwickau gehalten.

Es gibt Situationen, in denen ist man einfach sprachlos. Es fehlen einem die Worte.
Man weiß nicht mehr, was man sagen soll oder wie man etwas sagen soll.
Da ist etwas ganz Großartiges geschehen, und das macht mich sprachlos.
Da ist etwas Schreckliches passiert – ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
Da gibt es Ungewöhnliches zu sehen – ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.
In den Nachrichten kommen immer wieder Meldungen, die lassen einem das Blut in den Adern gefrieren – was können wir da noch sagen?

Kennt ihr solche Situationen?

Wenn einem die Worte fehlen – aus Staunen, aus Schreck, aus Verzweiflung oder aus welchen Gründen auch immer – wenn ein schwer zu fassender Zustand besteht – dann sagen manche so schön: Da hilft nur noch beten. Aber was oder wie sollen wir beten? Es ist manchmal gar nicht so einfach, die richtigen Worte zu finden, manchmal bleiben uns die Worte im Halse stecken – und manchmal bleibt einem nur noch übrig zu seufzen.Ich möchte euch mal einladen, aus tiefstem Herzen zu seufzen —–

Ooooooooohhhhhhhhhhh

Wenn nicht richtig – gleich noch einmal – oooooooohhhhhhhhhhhhh

Es gab mal einen Mann, der wusste auch vom Seufzen zu erzählen…ein Mann, von dem wir oft glauben, dass ihm nie die Worte oder die Sprache ausgingen, ein Mann, der oft das rechte Wort zur rechten Zeit fand…auch diesem Mann fehlten manchmal die Worte. Wir befinden uns in guter Gesellschaft.

Ich lese den heutigen Predigttext aus
Römer 8,26-30

26 Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.

27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.

28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.

29 Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

30 Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht. Amen.

Paulus – von ihm stammen diese Worte – Paulus war studiert, er hatte immerhin beim Rabbi Gamaliel, einem der besten Lehrer seiner Zeit, gelernt. Er wusste unheimlich viel und konnte sein Wissen auch weitergeben. Rhetorik stand bei ihm auf dem Lehrplan, und es war kein Nebenfach. Aber er war auch ein Mensch mit Fehlern und Schwächen, ein Mann, geplagt von einer Krankheit, von der wir nicht genau wissen, was es war. Im 2. Korintherbrief spricht er von seiner Krankheit, davon, dass er dreimal zum Herrn gefleht hat, ihn doch von dieser Plage zu erlösen.

Als Antwort erhielt er nur: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Er wusste also auch, was es heißt, alles andere als stark zu sein, er hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, auf der Verliererseite zu stehen. Und sicher war er auch manchmal sprachlos und konnte sich nur durch einen Seufzer Luft verschaffen. Und nun schreibt er an die Gemeinde in Rom:

Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf.

Der Geist hilft unserer Schwachheit auf – in einer anderen Übersetzung heißt es „der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an“. Dieses Wort bezeichnet eine tatkräftige Anteilnahme. Im selben Wortsinn ist das gemeint, was Martha einst zu Jesus sagte, ihre Schwester Maria solle doch mit zugreifen.

Und noch eins besagt dieses Wort, diese Redewendung hier in unserem Predigttext: es ist eine Pflicht den Schwachen gegenüber zu helfen. So wie der Geist Gottes uns hilft, uns in unserer Schwachheit, so weist er uns auch an, den Schwachen in der Gemeinde zu helfen. Und das zieht sich durch alle Bereiche unseres Lebens, auch durch unser Gebetsleben. Denn schon Paulus weiß:

Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.

Ausgerechnet dieser Paulus – der große Beter – weiß nicht, was er beten soll? Er ist nur ein Mensch, ich habe es schon gesagt…Und er rühmt sich nicht, dass er ein großer Beter ist, sondern er stellt sich auf eine Stufe mit der Gemeinde, auf eine Stufe mit denen, die ein Problem haben, er gibt zu, dass er auch nicht vollkommen ist. Und all das tut er aus Liebe zu der Gemeinde, die er selbst gegründet hat. Sie sind seine Kinder, seine geistlichen Kinder.
Und deshalb spricht er ihnen zu, er geht auf sie ein, er holt sie dort ab, wo sie stehen.

Paulus verweist auf den Geist…dieser Geist wurde den Jüngern verheißen, von Jesus selbst, der gesagt hat: Johannes 14,16: Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit.

Anschließend noch dreimal, also insgesamt viermal in drei Kapiteln – wir haben es vorhin in der Lesung auch gehört – im Johannesevangelium verspricht Jesus seinen Jüngern den Tröster, den Heiligen Geist, denn kein anderer ist hier gemeint. Und dieser Geist vertritt uns, auch wenn es nur durch ein unaussprechliches Seufzen geschieht.

Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.

Paulus braucht keinen Namen zu nennen, damit klar wird, von wem er hier spricht…der die Herzen erforscht, das kann ja kein anderer sein als der, der die Herzen geschaffen hat, derjenige, von dem alles kommt und vor dem nichts verborgen bleiben kann. Der Schöpfer selbst weiß natürlich ganz genau, was der Geist meint, wenn er uns vertritt mit unaussprechlichem Seufzen…er sieht ja auch die Gedanken, nichts ist ihm fremd.

Und der Geist? Der tut, was Gott gefällt…er vertritt die Heiligen! Er vertritt uns – uns, die wir uns so schwer tun, die richtigen Worte zu finden, uns, die oft auch mutlos werden können, uns, die wir uns manchmal zu klein oder zu schwach vorkommen. Wir sollen auch keine Angst haben zu beten, wir sollen keine Angst haben, dass wir die richtigen Worte nicht finden – der uns geschaffen hat, der weiß auch, was wir sagen wollen wenn wir nur stottern, stammeln oder eben nichts anderes als ein Seufzen zustande bekommen. Und es gibt oft genug Gründe zu stöhnen oder zu seufzen – wir brauchen da gar nicht weit zu gehen. Überall um uns herum gibt es genug Dinge, die beklagenswert sind.

Da kann uns der folgende Vers helfen: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.

Und das ist die zentrale Aussage unseres heutigen Textes. Aber ist es nicht ein wenig hoch gegriffen? Alle Dinge sollen uns zum Besten dienen? Wir lieben Gott, das will ich nicht bestreiten, und dann soll uns alles zum Besten dienen – aber können wir wirklich aus vollem Herzen sagen: uns dienen alle Dinge zum Besten? Das hieße ja, alles, auch das allerschlechteste, das unangenehmste, das tödliche – ist gut für uns?

Noch einmal: unser Predigttext stammt von Paulus, der es im Leben wahrlich nicht leicht hatte. Er litt an einer Krankheit, die Gott nicht heilte, obwohl er immer wieder darum bat. Er wurde verfolgt, er saß im Gefängnis. Mehrmals wurde er bis aufs Blut ausgepeitscht, mehrmals war er dem Tod näher als dem Leben.
Wenn einer Grund gehabt hätte am Leben zu verzweifeln, dann Paulus.

Und trotzdem schreibt er hier: denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen.

Ein harmloses „Alles wird gut“ oder „Kopf hoch, das wird schon wieder“ kann mit diesem Satz nicht gemeint sein. Auch Christen können nahezu zerbrechen am Leid der Welt, werden erdrückt von Traurigkeit und geschüttelt von Zweifeln. Was ihnen Halt geben kann, verrät Paulus hier: die unsichtbare Hoffnung. Die Hoffnung, die darauf vertraut, dass sich Gott nicht von uns trennt, was auch immer passiert.

Auch unsere Jahreslosung von diesem Jahr passt hier hervorragend mit hinein: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Anm.: Das ist die Fassung von 2016)

Eine Mutter trennt sich normalerweise nicht von ihrem Kind. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die wollen wir getrost mal beiseitelassen. Eine Mutter bleibt bei ihrem Kind, sie tröstet es, ganz gleich welche Uhrzeit es gerade ist, sie ist immer für ihr Kind da. Und sie hat Kraft, wo andere vielleicht aufgeben würden. Und sie wird für ihr Kind immer das Beste wollen und tun.

Vielleicht bringt ein Auszug aus dem kleinen Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer noch ein bisschen mehr Licht in die Frage, was Paulus mit seinem Satz meint, alle Dinge werden zum Besten dienen.

Bonhoeffer hat das „Böse“ bereits 1934 heraufziehen sehen, lebte als Christ im Widerstand zu den Nationalsozialisten und bezahlte dafür letztlich mit seinem Leben:

Hier sind Bonhoeffers Worte:

„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.

Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.

In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“

Paulus und Dietrich Bonhoeffer sind Menschen der Vergangenheit – lassen wir auch noch Menschen der Gegenwart zu Wort kommen.

Viele kennen das Buch und den Film „Joni“, den Bericht über Kampf und Sieg einer durch Unfall gelähmten Frau. Was sie über das Annehmen der Umstände schreibt, ist nicht Theorie, sondern kommt aus einer tief erlittenen täglichen Übung.

„Durch den Tod meiner Nichte und meine Lähmung lernte ich immer deutlicher erkennen, dass es nur zu Kummer und Verzweiflung führt, wenn wir versuchen, nach den Gründen für Gottes Handeln zu forschen. Warum, o Gott? Warum musste sie sterben? Warum wurde ich gelähmt? Warum dürfen die anderen am Leben bleiben und gesund sein? – Außerhalb des alles umfassenden Planes Gottes finden wir auf solche Fragen keine Antwort. Wir sind nicht immer für die Situationen verantwortlich, in die wir hineingeraten.

Aber wir sind sehr wohl dafür verantwortlich, wie wir reagieren. Wir können uns völlig der Verzweiflung überlassen und mit selbstmörderischen Gedanken umgehen, oder aber wir blicken auf zu unserem Gott, der keinen Fehler macht und der alles unter Kontrolle hat. Er ist in der Lage, auch bittere Erfahrungen zu unserem Besten zu wenden und uns dadurch in das Ebenbild Jesu Christi umzuwandeln.“

Was Joni Eyricksson hier meint: Es geht um unsere Verwandlung! Stellt euch vor, wie viele Qualen eine Raupe durchmacht bei ihrer Entwicklung zum Schmetterling! Sie geht, geistlich gesprochen, durch viele Tode – durch viele Häutungen. Aber dann ist plötzlich der schöne bunte Schmetterling da. – Alles, was zu unserer Verwandlung beiträgt, ist gut.

Gott macht keine Fehler.

Das bestätigt auch ein junger Mann, von dem ich vor vier Jahren das erste Mal las – ein Australier, der seit seiner Geburt schwerstbehindert ist. Er kam ohne Arme und Beine auf die Welt, hat nur zwei verkrüppelte Füße und keine Hände.

Nick Vujicic – er wollte sich mit 10 oder 11 Jahren das Leben nehmen, weil er drohte zu verzweifeln… er hat es dann doch nicht getan, um seinen Eltern nicht noch mehr Schmerz zuzufügen als sie schon hatten. Und dann wendete sich seine Einstellung. Heute ist er ein weltbekannter Redner und Motivator – ich habe ihn auf Videos bei youtube gesehen und kenne kaum jemanden, der so viel Lebensfreude ausstrahlt wie dieser schwerstbehinderte junge Mann. Doch was heißt eigentlich „schwerstbehindert“? Er selbst sieht sich nicht so. Er sagt von sich selbst: „Ich fand den Sinn meiner Existenz und ich fand den Sinn meiner Umstände. Natürlich kann ich mir mein Leben lang Dinge wünschen, die ich nicht habe. Aber das Wünschen bringt mich nicht weiter. Gott will mich so benutzen, wie ich bin.“

Am 12. Februar 2012 – lustig ist, dass ich genau an diesem Tag eine Predigt hielt, in der ich ihn das erste Mal erwähnte – heiratete er seine Verlobte Kanae Miyahara. Das Paar hat inzwischen zwei gesunde Söhne: Kiyoshi James Vujicic (* 13. Februar 2013) und Dejan Levi Vujicic (* 7. August 2015).

Gott macht keine Fehler.

Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.

Wenn uns einmal das Leben schwer erscheint, ich glaube es tut uns dann gut, solche Menschen wie Jony Eyrickson oder Nick Vujicic vor Augen zu haben.

Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

Jesus ist der Erstgeborene – nicht nur der erste Sohn, den Maria geboren hat, das ist hier nicht gemeint.

Vor vielen Jahren – in meiner Jugendzeit – kam ein Lied auf, das wir damals häufig gesungen haben:

Christus ist der erste neue Mensch der neuen Welt,
ohne Hass und Angst.
Heute ruft er uns zu sich, das Gestern zählt nicht mehr,
vor uns liegt sein Weg.

Das ist der Erstgeborene – der erste neue Mensch der neuen Welt – er ist uns vorausgegangen und wartet auf uns, dass wir ihm folgen. Und dann werden wir ihm immer ähnlicher – er selbst will uns sich ähnlich machen. Dazu gehört, dass wir uns ihm in die Hände geben, dass wir uns rufen lassen, denn wir sind berufen, so wie es im letzten Vers unseres Predigttextes steht:

Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Dem muss ich nicht mehr viel hinzufügen – klingt das nicht geradezu herrlich? Diese Zusagen – wir sind berufen – wir sind gerechtfertigt – wir sind verherrlicht … Fällt euch auf, dass Paulus hier nicht in der Zukunftsform spricht? Also nicht „Wir werden berufen, wir werden gerecht gemacht, wir werden verherrlicht?“ Für Paulus ist alles bereits vollendet. Gott hat eine andere Zeitrechnung als wir Menschen…

– das lädt uns doch ein noch einmal zu seufzen —

Diesmal einen Seufzer der Erleichterung!

Ooooooooooooh!

Amen.

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