Jetzt beginnt wieder die Advents- und Weihnachtszeit – Zeit für die Räucherkerzen, Zeit für Tannengrün, Zeit für die Pfefferkuchenbäckerei, Zeit für Stollen und die Weihnachtsgans.
All das, was ich aufgezählt habe, spricht unsere beiden letzten Sinne an, die wir heute besprechen wollen – Geruch und Geschmack.
Das ganze Jahr über werden diese beiden Sinne ganz besonders abwechslungsreich angesprochen. Vor allem der Geruchssinn. Im Frühling duften die neu sprießenden Pflanzen frisch, Maiglöckchen und Flieder riechen stark. Die ersten frischen Salate reizen unsere Geschmacksknospen. Nach einem warmen Sommerregen riecht die Luft unglaublich gut, im Urlaub am Meer oder in den Bergen genießen wir die frische Luft. In Gaststätten im Ausland und auch bei uns werden exotische Speisen und Getränke angeboten, die uns manchmal völlig fremde Geschmacksrichtungen nahebringen. Im Herbst haben wir duftende und wohlschmeckende Äpfel und Birnen von den Bäumen gepflückt. Schlachtfeste werden gefeiert, und frische Würste entstehen. Lecker das alles. Aber kaum eine Jahreszeit ist so voller künstlicher Düfte wie die Advents- und Weihnachtszeit. Duftkerzen, Räucherkerzen machen manchmal sogar dicke Luft, die Gewürze Anis, Vanille und Zimt herrschen in der Weihnachtsbäckerei vor. Und wenn der Weihnachtsbraten angebraten wird, beginnt für manche erst so richtig die Weihnachtszeit.
Was ist es, das Geruchs- und Geschmackssinn so einzigartig macht?
Schon Einzeller erkunden mit Chemorezeptoren ihre Umgebung. Aber so wie ein Ton noch keine Musik macht und eine Tonleiter keine Symphonie, so entsteht auch beim Menschen erst durch das Zusammenspiel vieler Sinnesmodalitäten ein Erlebnis.
Unsere Zunge kennt nur fünf Geschmacksrichtungen: Süß, Sauer, Salzig, Bitter und Umami. Umami ist ein Zungenreiz, der auf Eiweißstoffe hinweist Er wurde als letzter der Reihe entdeckt. Unsere Nase hat dagegen 350 Rezeptortypen, die es möglich machen, rund 10.000 Gerüche zu unterscheiden. Das ist weniger als bei Hunden oder Mäusen, aber es reicht vollkommen aus für einen Alltag, in dem wir Geruchs- und Geschmacksreize nie isoliert wahrnehmen, sondern stets als Konzert.
Ein Konzert, in dem die Sinneseindrücke zwar die erste Geige spielen, das ohne Gefühle, Gedanken und vor allem Erinnerungen aber nicht harmonisch klingt. Wem dann im Dezember der Duft von frischem Tannengrün in die Nase steigt oder im Juli ein Hauch von Sonnencreme, dem generiert sein Gehirn augenblicklich eine ganze Welt.
Unangenehme Gerüche und Geschmäcker haben andere, kurzfristigere Folgen. Doch wann immer sie unser Brechzentrum aktivieren, haben sie uns möglicherweise damit das Leben gerettet.
Kaffeeduft belebt uns. Auf Süßes oder Salziges verspüren wir mitunter Heißhunger, vor zu Bitterem ekelt uns, und manche Gerüche lösen nostalgische Erinnerungen aus: Geruchs- und Geschmackssinn haben mehr Macht über uns, als uns oft bewusst ist.
Beim Menschen funktionieren der Geruchs- und der Geschmackssinn nach diesem Prinzip: Einmal sind es flüchtige Substanzen, die über die Atemluft in die Nasenhöhle gelangen und dort Rezeptorzellen in der Riechschleimhaut dazu bringen, Signale Richtung Gehirn zu senden, zum anderen sind es Bestandteile von Nahrungsmitteln, die über Geschmacksrezeptoren im Mund- und Rachenraum Nervenimpulse in Gang setzen.
Der Geruchssinn als entwicklungsgeschichtlich wohl ältester unserer Sinne nimmt dabei auch anatomisch eine Sonderrolle ein: Im Gegensatz zum Sehen, Hören, Fühlen und Schmecken umgeht er den Thalamus, seine Informationen kommen auf direktem Weg in den Mandelkernen und im Frontallappen an. Deswegen sind Gerüche für uns auch stets emotional besetzt: Wir empfinden sie als wohltuend oder widerlich, als beruhigend, ekelerregend oder eben belebend…und wir können uns sehr gut an Gerüche erinnern, auch wenn sie schon viele Jahre zurückliegen.
Ein Fakt ist, dass unser Eigengeruch weit mehr über uns preisgibt, als uns normalerweise bewusst ist: Er ist nicht nur von Mensch zu Mensch verschieden wie ein Fingerabdruck, sondern verrät auch viel über unsere Gemütslage und unseren Gesundheitszustand. So können Hunde schließlich wittern, ob ihr menschliches Gegenüber Angst hat, und mit spezieller Ausbildung können sie etwa bestimmte Tumorerkrankungen oder, bei Diabetikern, sich bedrohlich entwickelnde Blutzuckerwerte erschnüffeln. Zumindest rudimentär sind solche Wahrnehmungen auch Menschen möglich: Forschern vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia, USA gelang kürzlich etwa der Nachweis, dass Menschen Bilder von Frauen unterschiedlich bewerten, je nachdem ob der Schweiß, an dem sie gleichzeitig rochen, durch Stress oder wegen rein körperlicher Anstrengung verursacht worden war.
Die Nase vermag uns Geborgenheit und Nähe zu vermitteln. Studien haben gezeigt, dass Babys und Mütter sich von Geburt an am Geruch identifizieren können. Viele Kleinkinder können ohne die Vertrautheit, die der vom Lieblingskuscheltier verströmte Duft vermittelt, kaum einschlafen. Und auch für Sympathien und Partnerwahl spielt Geruch eine Rolle, auch wenn hier längst nicht alle Detailfragen geklärt sind und der Einfluss wohl deutlich geringer ist als im Tierreich.
Hmmm, wie das duftet – ein Stück frisches Brot, dazu ein reifer französischer Käse und ein Gläschen dunkelroter Wein. Allein der Geruch von Speisen, die wir mögen, weckt die Lust darauf. Er hilft, sie zu identifizieren, aber auch zu erkennen, ob sie bekömmlich oder vielleicht gesundheitsschädlich sind. Was faulig riecht oder gar nach verdorbenem Fleisch, ruft Ekel hervor und warnt, bei diesen Speisen zuzugreifen. Warnung mag uns ein unangenehmer Geruch aber auch sein, wenn aus einem Raum Gefahr droht, wenn etwa Rauch in der Luft hängt oder es bestialisch nach Fäkalien stinkt.
In dem Roman „Das Parfüm“ erzählt Patrik Süskind von einem Mann, der einen außergewöhnlichen Geruchssinn hat. Selbst ein kostbares Parfüm, das nach einem Geheimrezept zusammengestellt wurde, kann er nachproduzieren, nur aufgrund des Geruchs.
Lange Zeit wurde der Geruchssinn des Menschen von den Medizinern verächtlich als „niederer“ oder gar „verlorener“ Sinn angesehen. Anders heute: Die moderne Neurowissenschaft hat den Riechsinn voll rehabilitiert. Man weiß heute, dass Düfte und Gerüche ohne Umweg über den Verstand das sogenannte limbische System in unserem Gehirn erreichen. Während wir Farben oder Geräusche bewusst wahrnehmen, wirkt der Geruchssinn auf subtilere Weise tief und nachhaltig auf die Psyche ein.
Das mag die Macht gewisser Düfte erklären, die bei Menschen intensive Kindheitserinnerungen hervorbringen. Viele Menschen behalten beispielsweise ihre Abneigung auf Fischgeruch ein Leben lang bei, wenn sie ein einziges Mal verdorbenen Fisch gegessen haben.
Rund zehn Prozent der Menschen haben olfaktorische Defizite, etwa jeder Dritte, der unter Heuschnupfen leidet, kann sich auf seine Nase nicht mehr verlassen. Das zieht mitunter ernst zu nehmende Probleme nach sich, stellt die Arbeitsgemeinschaft für Olfaktologie und Gustologie der deutschen HNO-Ärzte fest: „Bei fehlender oder verminderter Empfindlichkeit der chemischen Sinne fehlt ein wichtiges Alarmsystem, dessen Bedeutung oft erst erkannt wird, wenn es nicht mehr funktioniert. Der Geruchssinn macht auf Brände oder giftige Dämpfe aufmerksam, ohne ihn würden wir verdorbene Lebensmittel essen.“
Übrigens duften nicht nur Blumen, Zwiebeln oder der Braten, sondern auch unsere Haut und Haare. Die Redewendung „jemanden nicht riechen können“ weist auf diesen Aspekt hin. Der persönliche Geruch ist genetisch vorgegeben. Je näher Menschen miteinander verwandt sind, umso ähnlicher ist ihr Eigengeruch. Besonders stark ist die genetische Ähnlichkeit bei eineiigen Zwillingen ausgeprägt: Sie können auch von speziell trainierten Tieren nicht mehr am Geruch unterschieden werden, außer wenn einer der Zwillinge eine Knochenmarktransplantation erhalten hat.
Allerdings ist es bisher nicht gelungen, Geruchsqualitäten ähnlich scharf wie den Geschmack gegeneinander abzugrenzen, und erst recht nicht, sie ebenso eindeutig zu benennen. Immerhin unterscheidet man heute mindestens sieben „Primärgerüche“. Es sind die Duftklassen „blumig“ (nach Rosen), „ätherisch“ (nach Birnen), „moschusartig“, „kampferartig“, „faulig“, „stechend“ (wie Essig) und „schweißig“.
Im Vergleich zum Geruchssinn wirkt der Geschmackssinn recht spartanisch: wie schon gesagt, hat unsere Mundschleimhaut Rezeptoren für gerade mal fünf Grundgeschmacksrichtungen. Süß, salzig, sauer, bitter und das vollmundig-würzige „umami“ (Japanisch für köstlich) – und natürlich verschieden abgestufte Kombinationen davon: Mehr können die Geschmacksknospen nicht unterscheiden. Dass Essen trotzdem keineswegs langweilig sein muss, liegt daran, dass Geschmack viel mehr ist als das, was unser Geschmackssinn vermittelt. Die englische Sprache ist hier präziser, sie unterscheidet zwischen Geschmack und Geschmack: Während „taste“ für die reine fünfdimensionale Geschmacksempfindung steht, beschreibt „flavour“ den sehr viel differenzierteren Gesamteindruck. In diesen fließen vor allem Informationen des Geruchssinns mit ein, weil flüchtige Stoffe aus Nahrungsmitteln über den Rachenraum quasi von hinten in die Nase gelangen und unseren Geschmackseindruck entscheidend mitbestimmen. Aber auch Informationen wie Temperatur, Konsistenz oder Schmerz spielen für den „flavour“ eine Rolle.
Die fünf Qualitäten schmecken wir zwar auch in Kombinationen miteinander. Doch selbst die größten Feinschmecker können sich nicht allein auf ihre Zunge verlassen. „Allein mit der Zunge schmecken Speisen und Getränke fade, und das Essen macht keinen Spaß“, so die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde.
Wenn man die Nase voll hat, vergeht einem der Appetit. Die Erklärung ist einfach: Wenn man nichts riecht, schmeckt einem auch das Essen nicht. Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, die sich auf Olfaktologie und Gustologie spezialisiert haben, also auf die Wissenschaften vom Riechen und Schmecken, schätzen, dass rund 90 Prozent der Sinneseindrücke während eines guten Essens nicht auf der Zunge entstehen, sondern ausschließlich von Geruchssignalen stammen.
Den Beweis dafür kann jeder in einem Selbstversuch erbringen. Man püriere jeweils Äpfel, Zwiebeln und Kartoffeln und versuche dann, sie am Geschmack zu unterscheiden – bei zugehaltener Nase und geschlossenen Augen. Das Ergebnis: Die drei Breie schmecken fast nach nichts, erst der Geruchssinn macht die Speisen unterscheidbar.
Auch der Geschmackssinn ist ungewöhnlich stark mit Regionen im Gehirn verschaltet, die für niedere Funktionen wie Grundbedürfnisse, Emotionen und bestimmte Reflexe zuständig sind. Kein Wunder, hat es doch entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit und Vitalität unseres Körpers, dass wir ausreichend und das Passende essen und trinken. Entsprechend ist etwa die Lust auf Süßes angeboren: Diese Geschmacksempfindung wird in der Regel von kohlenhydrat- und damit energiereichen Nahrungsmitteln ausgelöst. Ebenso ist umami uneingeschränkt positiv, steht es doch (solange wir uns nicht mit Geschmacksverstärkern selbst betrügen) für proteinreiche Kost. Auf Salziges kann regelrechter Heißhunger entstehen, wenn dem Körper lebenswichtige Mineralien fehlen.
Saures und Bitteres sind dagegen zwiespältiger, werden etwa von Säuglingen abgelehnt. Auch das ist sinnvoll: Saures kann unreif oder verdorben sein, und viele für uns giftige Substanzen schmecken bitter. Wenn wir im Lauf des Lebens trotzdem an sauren Äpfeln oder Kaffee Gefallen finden, dann hat das mit Gewöhnungseffekten zu tun. Überhaupt gehen Ernährungspsychologen davon aus, dass es weitgehend von Gewöhnung abhängt, was wir mögen und was nicht. Diese individuelle Prägung beginnt schon im Bauch der Mutter. Gerüche und Geschmäcke erreichen über das Fruchtwasser die sich entwickelnden Sinne des Fetus. Präferenzen können aber auch plötzlich ins Gegenteil umschlagen: Wird uns nach einer bestimmten Mahlzeit schlecht, kann eine regelrechte Aversion gegen entsprechende Nahrung und Gerüche die Folge sein. Mir beispielsweise schmeckt kein Eis mit Eierlikör – das liegt daran, dass ich mich damit mal überfressen habe.
Das funktioniert auch bei Tieren, und man kann es sich zunutze machen: Verfüttert man Schaffleisch-Köder, die mit einem Übelkeit erregenden Medikament präpariert sind, an Wölfe oder Kojoten, vergeht diesen die Lust, weiter Schafe zu reißen.
Auch mit dem Hippocampus, einem fürs Gedächtnis wichtigen Zentrum, sind die Riechzellen gut verschaltet. Das sorgt dafür, dass uns bestimmte Aromen regelrecht auf eine Zeitreise schicken können, indem sie besonders detaillierte Erinnerungen an früher erlebte Situationen hervorrufen. Dieser Mechanismus hat einen eigenen Namen, den er dem Schriftsteller Marcel Proust verdankt: Dessen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ beschreibt eine solche gedankliche Zeitreise, die von einer in Tee getunkten Madeleine (einem französischen Sandgebäck) ausgelöst wird – man spricht deshalb vom “Madeleine-Effekt”.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Auch wenn in unserer bewussten Wahrnehmung Sehen, Hören und Fühlen meistens eine größere Rolle spielen, haben Riechen und Schmecken doch oft entscheidenden Einfluss auf unsere Entscheidungen (Duftende Marken) und auf unser Wohlbefinden. Das zeigen viele punktuelle Studien: So vermögen Lavendel- und Orangenaroma die Angst vorm Zahnarzt zu lindern. Und wir träumen tendenziell Erfreulicheres, wenn wir im Schlaf Rosenduft schnuppern, als wenn wir mit dem Geruch fauler Eier traktiert werden. Aber auch unsere eigene Erfahrung wird uns das bestätigen, wenn wir im Alltag öfter einmal bewusst hinriechen und -schmecken.
Riechen und Schmecken – diese beiden Sinne hängen ganz stark zusammen, wie wir festgestellt haben. Und ich staune immer wieder, wie der Schöpfer das so ausgeklügelt hat. Auch in der Bibel wird vom Staunen über die Wunder der Schöpfung berichtet. Vom Schmecken der Wunder, von der Freundlichkeit, die da zutage tritt. Es gibt einen Vers im Psalm 34, der es auf den Punkt bringt.
Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist – so heißt er.