Trost

SAMSUNG CAMERA PICTURESDie folgende Predigt habe ich das erste Mal am 16.12.2012 in meiner Heimatgemeinde gehalten. Es war wie heute der 3. Advent.

Ich bin ein Kind der Nachkriegszeit – Krieg, Gefangenschaft, das alles kenne ich nur aus den Erzählungen vor allem meines Vaters.

Diejenigen, die noch alles am eigenen Leibe erfahren haben und erzählen können, werden immer weniger. Immer mehr müssen wir uns auf schriftliche Berichte stützen, wenn wir wissen wollen, wie es war, Krieg, Verfolgung und Gefangenschaft in einem fremden Land zu erleben. Diese Berichte sind – je nachdem, wer es erzählt – von unterschiedlichen Schwerpunkten geprägt.

Hoffnung, Wut, Verzweiflung, Resignation – die ganze Palette an Emotionen haben die in Gefangenschaft Geratenen durchlebt. Und das war verständlich, denn wer in Gefangenschaft war, wusste nicht, ob er jemals zurückkehren konnte zu seiner Familie, zu Eltern, Frau und Kindern.
Keiner wusste, ob es die Heimat überhaupt noch gab oder ob inzwischen alles in Schutt und Asche gelegt worden war.

Die Deutschen hatten den Krieg begonnen und verloren. Selber Schuld, das kann man zu denen sagen, die es ausbaden mussten.

Selber Schuld, das war auch das Volk Israel an seiner Situation damals zu Jesajas Zeiten, zu der Zeit, als unser heutiger Predigttext entstand.
Immer wieder hatten Propheten gewarnt und aufgerufen, umzukehren vom falschen Weg, immer wieder hatten die Israeliten die Warnungen ignoriert und die Propheten nicht beachtet. Und nun mussten sie genau wie die Deutschen am eigenen Leib spüren, was es heißt, die Konsequenzen zu tragen.
Viele Jahre Gefangenschaft, Deportation, Verbannung im fremden Land. Babylonien hieß ihre Zwangsheimat. Und auch die Israeliten reagierten unterschiedlich auf die Situation, in der sie sich befanden.

Manch einer hatte sich inzwischen vom Glauben der Väter abgewandt und war zu den babylonischen Götzen übergewechselt, manch einer hatte eine babylonische Frau genommen, eine Familie gegründet, hatte sich angepasst an das Leben in Babylonien und dachte gar nicht mehr oder kaum noch an eine Heimkehr.

Manch andre dagegen haben nicht aufgehört, für ihre Freiheit zu beten, hofften immer noch, dass sie irgendwann in die Heimat zurückkehren konnten, eine Heimat, die ihnen ja doch fremd sein musste, denn sie kannten sie ja nie aus eigener Anschauung.

Wieder andere brüteten grausame Rachegedanken aus – ich denke da an den Psalm 137, „An den Wassern von Babylon saßen wir und weinten“ — der mit den Worten schließt „Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert!“

Mitten in diese Anpassung, Hoffnung, Wut, Verzweiflung – mitten in all diese unterschiedlichen Emotionen trat ein Mann vor das Volk und überbrachte die Botschaft von Trost und Hoffnung.

Ich lese Jesaja 40, 1-11:

1 Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.

2 Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.

3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!

4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden;

5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet.

6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde.

7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk!

8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott;

10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her.

11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.
Amen.

Am 28. August 1963 hat ein kleiner farbiger Mann in Amerika öffentlich von seinem Traum gesprochen: „Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird. Ich habe einen Traum, dass eines Tages kleine schwarze Jungen und Mädchen die Hände schütteln mit kleinen weißen Jungen und Mädchen als Brüder und Schwestern.

Ich habe heute einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt wird. Die rauen Orte werden geglättet und die unebenen Orte begradigt werden. Und die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar werden, und alles Fleisch wird es sehen. Das ist unsere Hoffnung. Mit diesem Glauben werde ich fähig sein, aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu hauen.“

Martin Luther King – sein Traum erinnert sehr an unseren heutigen Predigttext. Es war sein Bestreben, Hoffnung zu schaffen, Hoffnung auf eine bessere Welt. Er hat immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr ihn die alten Geschichten des Volkes Israels und die Prophezeiungen der Bibel in seiner Arbeit bestärkt und ihm Mut gegeben haben.

„Tröstet mein Volk!“ Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm fand ich den Hinweis, dass das Wort Trost mit den beiden Begriffen „Vertrauen“ und „treu“ eng verwandt ist. „Treu“ bedeutet „stark, fest wie ein Baum“, was auch im englischen Wort „tree“ zum Ausdruck kommt.. Trost meint die „innere Festigkeit“. Fest wie ein Baum, so könnten wir in Abwandlung eines Liedes der Gruppe „Puhdys“ sagen.

Die Verbannten in Babylonien fühlten sich mit Sicherheit nicht fest wie ein Baum, eher wie ein Schilfrohr im Wind. Und genau diesen Menschen wird zugerufen „Tröstet mein Volk!“

Vertrauen, Treue, diese beiden Worte laden mich, laden uns alle ein zur Hingabe, zum Wohlfühlen, zum Geborgensein – ganz gleich, wo wir uns befinden. Und Trost – hier kommt mir der Satz aus dem 2. Brief des Apostels Paulus an die Korinther in den Sinn:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.

In einem einzigen Satz ist hier fünfmal vom Trost, vom Trösten die Rede. Echter Trost ist daran zu erkennen, dass sich der Tröstende mit dem zu Tröstenden identifiziert. Er will den Schmerz mitempfinden, als wäre es sein eigener Schmerz, und er will die Hoffnung hegen, als wäre es die eigene Hoffnung. Wenn Gott tröstet, ist der Trost immer ‚treu’. Auf Seinen Trost ist wie auf alle Seine Worte Verlass. Wie Er selbst sich niemals ändern wird, bleibt auch das Wort unseres Gottes für ewig bestehen.

Und so spricht er auch zu seinem Volk: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Und denen, die sich wie ein Schilfrohr im Wind fühlen, spricht er die Worte zu: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Es ist und bleibt sein Volk, mag es auch immer wieder vom Weg abweichen und ihm untreu werden, er bleibt treu.

Er verheißt seinem Volk das Ende der Knechtschaft – die Strafe ist verbüßt, die Sünden sind vergeben. Es ist sogar die Rede vom doppelten Strafmaß – sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. Gott will die Schuld, die zwischen ihm und seinem Volk steht, vergeben. Denn nicht ausgeräumte Schuld schwächt. Je länger die Schuld mitgeschleppt wird, umso schwächer wird man. Das können manche von uns sicher aus eigener Erfahrung nachfühlen. Vergebene Schuld aber stärkt und macht frei.

Und Gott ist auf dem Weg – dazu soll ihm der Weg geebnet werden…

In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!

So spricht der Rufende in der Wüste – so wie viele Jahre später der Täufer Johannes ruft, als Prophet, der in der Wüste lebt und wirkt und der auf den kommenden Heiland hinweist.

Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden.

Gott räumt alle Hindernisse aus dem Weg, um zu uns zu kommen! Die Berge werden erniedrigt, die Täler erhöht, die Hindernisse zwischen Gott und Mensch werden aus dem Weg geräumt! Es sind andere Berge gemeint als etwa der Mount Everest oder die Zugspitze! Hier ist auch im übertragenen Sinne von Tälern der Angst, der Verzweiflung, von Bergen und Hügeln der Streitsucht, des Hasses, der Überheblichkeit die Rede. Dies alles soll verschwinden. Alles wird eingeebnet, alles begradigt. Das macht den Blick frei in die Ferne, nichts verstellt mehr den Ausblick. Keine Wände mehr vor uns, keine Hindernisse mehr, der Weg ist leicht begehbar geworden.

Die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet.

Eine wunderbare Zusage, die der Prophet hier verkündet, und die Menschen können sich darauf verlassen, denn des HERRN Mund hats geredet…und auf ihn ist Verlass. Und noch eines ist hier zugesagt – dass alles Fleisch es sehen wird, also jeder, ohne eine einzige Ausnahme.

Nach diesen wundervollen Worten beginnt ein Dialog – ein Zwiegespräch zwischen dem Propheten und seinem Auftraggeber:

Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein.

Jesaja spricht von der Vergänglichkeit – alles wird vergehen, nichts bleibt bestehen. Fast ein wenig verzagt klingt das „Hat denn das Ganze noch einen Sinn?“ ein Schulterzucken „Was soll das alles? Es geht doch sowieso alles kaputt!“

Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

Zunächst stimmt Gott dem Propheten zu – alles ist vergänglich, alles wird vergehen, auch das Volk wird nicht ewig bleiben. Alles hat seine Zeit, wusste schon der Prediger Salomo. Doch dann nimmt das Gespräch eine unerwartete Wendung. Die Unvergänglichkeit, die Ewigkeit kommt zur Sprache.

Das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich, das ist eine Zusage, auf die wir uns auch heute noch stützen können. Und wir können ihn bei seinem Wort nehmen, ihn daran erinnern, was er uns zugesagt hat.

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir immer unseren Willen bekommen. Denn er weiß besser als wir, was gut für uns ist und was nicht. Es gab vor vielen Jahren mal ein Lied mit dem Refrain Some of God’s greatest gifts are unanswered prayers…! auf Deutsch: Einige von Gottes größten Geschenken sind unbeantwortete Gebete…!

Aber es bedeutet, dass er zu seinem Wort steht, für immer und ewig.

Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her.

Ja, das ist die Adventsbotschaft – jetzt endlich wird das Kommen des Herrn angekündigt! Und in welcher Weise dies geschieht – er kommt gewaltig! Vom hohen Berg herunter soll es verkündet werden – weithin hörbar. Alle sollen es hören, dass der Herr kommt! Endlich zeigt er seine Macht und Herrlichkeit! Jerusalem bekommt den Auftrag, die Freudenbotschaft zu verkünden! Da wird so mancher mit dem Kopf schütteln und fragen „Was soll das? Wie soll das gehen?“

Ausgerechnet Jerusalem soll die Freudenbotin sein, Jerusalem, die zerstörte Stadt, Jerusalem, unansehnlich, verdreckt, kaum noch bewohnbar…auf manchen Landkarten vielleicht gar nicht mehr eingetragen…in der Versenkung verschwunden…dem Vergessen preisgegeben. Genau das will Gott! Er will das Geringgeschätzte, das Kleine, das Kaputte, das Unscheinbare nutzen. Keiner ist zu klein, zu gering, zu alt, zu schwach.

Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

Zum Schluss ein unglaublich schönes Bild – das Bild vom guten Hirten. Er nimmt seine Lämmer auf den Arm. Er beschützt sie. Er führt die Mutterschafe nach Hause. Gott – unser himmlischer Vater, unser guter Hirte, derjenige, der uns trösten will, der uns befähigt, andere zu trösten, auf andere aufzupassen. Und natürlich kommt mir auch hier wieder Psalm 23 in den Sinn – wir kommen nicht darum herum. Und das Gleichnis vom Guten Hirten, das Jesus bringt – „Er lässt 99 Schafe und geht, um das eine verlorene zu suchen“.

Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und die Mutterschafe führen, heißt es. Ein schönes Bild, so richtig friedlich. Auf der anderen Seite heißt es aber auch in Johannes 10,11 „Der Gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“ – aus ist es mit dem friedlichen Bild. Hier kommt der Tod zu seinem Recht – aber nur dadurch werden die Schafe gerettet.

So hat auch hier jedes Ding zwei Seiten – auf der einen Seite der Trost, die Geborgenheit, die Führung – und auf der anderen Seite der Tod, das Ende. Doch hier ist das Ende nicht das Ende, sondern ein Anfang. Der Tod ist nicht der Punkt, sondern ein Doppelpunkt.

Gott ist zu uns gekommen: im kleinen Stall von Bethlehem ist Gott ein Mensch geworden. Am Kreuz von Golgatha hat Gott die Menschen von aller Schuld befreit. Mit der Auferstehung Jesu hat er uns Menschen neue Hoffnung auf ein neues Leben gemacht!

Gott führt die Mutterschafe – er bringt sie nach Hause…so wie viele der Gefangenen nach langer Zeit nach Hause kehren durften, die Israeliten nach der Babylonischen Gefangenschaft ebenso wie die Deutschen nach den beiden Weltkriegen. Bestimmt hatten viele von ihnen nicht mehr damit gerechnet, hatten die Hoffnung aufgegeben.

Wir stehen in der Adventszeit. Der Advent ist vor allem eine Zeit der Hoffnung: Gott kommt! Gott kommt auch zu uns! Mit Gott wird alles gut!
Amen.

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