Dies ist meine erste Predigt, die ich je in meinem Leben gehalten habe – am 31.07.2011 in meiner Heimatgemeinde…
Wohl jeder hat schon einmal eine Reise gemacht. Die einen nur in die nähere Umgebung – es gibt ja sehr schöne Flecken auch in Deutschland – andere dagegen kann man getrost als Weltenbummler bezeichnen, so weit sind sie schon herum gekommen.
Das Ende einer Reise hat wohl bei allen eines gemeinsam – es wird ein Fazit gezogen:
– das Wetter hätte schöner sein können
– dummerweise bin ich im Urlaub auch noch krank geworden
– wir haben viele nette (oder auch weniger nette) Leute kennen gelernt
– so schön hatte ich es mir nicht vorgestellt –
und was dann an Kommentaren nach einer Reise so alles kommt. Es werden Urlaubsfotos gezeigt oder auch Videos vorgeführt, jedem der es hören will (oder auch manchem, der es nicht hören will) wird von den kleinen und großen Geschehnissen oder Pannen erzählt und und und.
Dann werden auch schon wieder Pläne für die Zukunft geschmiedet. Wo es beim nächsten Mal hingehen soll, was unbedingt vermieden werden muss und so weiter.
Das Volk Israel hatte auch eine Reise hinter sich – keine Urlaubsreise, nein. 40 Jahre waren sie unterwegs. In dieser Zeit ist viel geschehen – etliche sind gestorben, die zu Beginn noch in der Blüte ihres Lebens standen, Kinder wurden geboren, die am Ende der Reise schon selbst erwachsen waren.
Aber auch am Ende dieser Reise wurde ein Fazit gezogen – durch keinen Geringeren als Mose, den Führer der Israeliten selbst.
Mose war 40 Jahr lang dem Volk Israel vorausgegangen auf seiner Wanderung durch die Wüste. Und nun, am Ende dieser endlos scheinenden Reise, hieß es Abschied nehmen. Mose musste sich von seinem Volk verabschieden, denn er durfte nicht in das verheißene Land.
So hat er nach der 40jährigen Wüstenwanderung das Volk Israel zusammengerufen und seine Abschiedsrede gehalten. Eine flammende Rede war es. Emotional, leidenschaftlich, rhetorisch wertvoll. Es war eine Liebeserklärung Gottes an sein Volk.
Diese Rede beginnt mit einem Rückblick, einem Fazit der Wanderung mit allen ihren Höhen und Tiefen. Daran schließt sich eine Wiederholung der 10 Gebote an (deshalb heißt 5. Mose auch Deuteronomium, zusammengesetzt aus deuteros – zweites und nomos – Gesetz = Zweites Gesetz). Und schließlich kommen eine ganze Menge Regeln, die das Leben im verheißenen Land Kanaan betreffen.
Dabei hat Mose immer wieder an das Grundgebot erinnert, dass wir Gott über alle Dinge lieben sollten. So manchem fällt in diesem Zusammenhang sofort die Antwort Jesu ein, als er gefragt wurde, welches das vornehmste und größte Gebot sei. In Matthäus 22,38 steht: Jesus aber antwortete ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt«.
Mose hat nun dem Volk Israel empfohlen, ja ich würde sogar sagen er hat es befohlen, die 10 Gebote auswendig zu lernen. Dies würde uns heutzutage auch gut tun – wer von uns kennt sie denn wirklich noch alle? Im katechetischen Unterricht durften wir sie ja lernen, aber wer kennt sie noch? In der richtigen Reihenfolge, mit dem ganzen Wortlaut? Und wenn wir sie auch noch aufsagen können, wissen wir wirklich noch, was sie aussagen, was sie bedeuten?
Mose hat dem Volk Israel sogar empfohlen, die 10 Gebote stets bei sich zu tragen (an den Arm oder die Stirn zu binden) und sie an die Türpfosten zu schreiben. Zur ständigen und dankbaren Erinnerung.
Natürlich durfte in der Rede des Mose eine Ermahnung an das Volk nicht fehlen, die großen Taten Gottes weiter zu sagen. Die großen Taten Gottes weitersagen, damit sie niemals in Vergessenheit gerieten. Auch eine Warnung davor, sich mit den anderen fremden Völkern zu verschwägern, kommt ganz deutlich zum Ausdruck.
Mose steigert sich in seiner Rede immer mehr, er wird immer leidenschaftlicher. Und so kommt er schließlich zu einer Aufforderung an das Volk Israel, die sogar gewalttätig klingt: „Reißt ihre Altäre nieder (damit meint er die fremden Völker), zerschlagt ihre Steinmale, haut ihre geweihten Pfähle um und verbrennt ihre Götzenbilder.“ Aber diese Gewalt richtet sich nur gegen leblose Dinge, nicht gegen lebende Tiere oder gar Menschen.
Und dann folgt der Text, den ich mit Euch etwas näher bedenken möchte. Ich lese unseren heutigen Predigttext aus der Guten Nachricht. Er steht in 5. Mose 7, 6 – 12:
6 Denn ihr seid ein Volk, das ausschließlich dem Herrn gehört. Der Herr, euer Gott, hat euch unter allen Völkern der Erde ausgewählt und zu seinem Eigentum gemacht.
7 Das tat er nicht etwa, weil ihr größer seid als die anderen Völker – ihr seid vielmehr das kleinste unter ihnen!
8 Nein, er tat es einzig deshalb, weil er euch liebte und das Versprechen halten wollte, das er euren Vorfahren gegeben hatte. Nur deshalb hat er euch herausgeholt aus dem Land, in dem ihr Sklaven wart; nur deshalb hat er euch mit seiner starken Hand aus der Gewalt des Pharaos befreit.
9 Er wollte euch zeigen, dass er allein der wahre Gott ist und dass er Wort hält. Er steht zu seinem Bund und erweist seine Liebe bis in die tausendste Generation an denen, die ihn lieben und seine Gebote befolgen.
10 Aber alle, die sich ihm widersetzen, bestraft er auf der Stelle und vernichtet sie. Er wird nicht zögern, sondern jeden auf der Stelle vernichten, der ihn missachtet.
11 Darum haltet euch stets an seine Weisung, an die Gebote und Rechtsbestimmungen, die ich euch heute verkünde!
12 Wenn ihr dem Herrn, eurem Gott, treu bleibt und auf seine Gebote hört und sie befolgt, wird auch er treu sein und zu den Zusagen stehen, die er euren Vorfahren gegeben hat. Amen!
Wir Christen haben das Alte Testament mit den Juden gemeinsam. Und auch bei den Juden gibt es die wöchentliche Lesung. Unser Text gehört in der jüdischen Liturgie zur Lesung am Schabbat nach dem 9. Tag des Monats Aw. Der Monat Aw beginnt ca. Mitte Juli nach unserem Kalender. Der 9. Tag des Aw ist demnach um den 24. Juli herum zu finden. Und der darauffolgende Schabbat ist der Tag, an dem diese Lesung in der jüdischen Liturgie verlesen wird. Fast auf den Tag genau wie in unserer christlichen Liturgie. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, solch eine Parallele zu finden.
Dieser Tag – also der 9. Tag des Monats Aw – wird von orthodoxen und konservativen Juden als strenger Fasttag begangen, zum Gedenken an die Zerstörung des Tempels. Die Zerstörung, die wegen der Sünden Israels geschehen ist. Außerdem beinhaltet er eine Hoffnung, die den Israeliten verheißen wird. Ich meine die Zusage, dass Gott die Feinde Israels vernichten wird, alle, die ihn hassen.
Dieser Text hat also eine immense Bedeutung in der jüdischen Liturgie.
Das soll jedoch nur ein ganz kurzer Exkurs in die jüdische Theologie sein.
Mir sind bei der Beschäftigung mit unserem Text drei Dinge aufgefallen:
Erstens: Wir – sei es nun das Volk Israel, sei es die Christenheit – sind auserwählt, Eigentum Gottes zu sein. Wir sind Gottes Eigentum, wir nennen uns Christen nach seinem Sohn.
Der heutige Wochenspruch kommt mir sofort wieder in den Sinn: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen – du bist mein.
In der Schöpfungsgeschichte wird berichtet, dass Gott alle Tiere der Reihe nach zum Menschen brachte, und dieser gab einem jeden seinen Namen. Damit wurden sie sein Eigentum.
Indem wir uns nach Christus nennen, wurden wir sein Eigentum. Mein Name ist Christine, also schon durch meinen Namen bin ich Christus verbunden.
Wir Christen sind Gottes Eigentum, und das nicht weil wir besonders schön oder besonders stark oder besonders viele sind – nein, im Gegenteil, wir sind eher ein Häufchen armseliger Gestalten, wenn man uns so näher betrachtet. Weder schön noch stark und erst recht nicht viele.
Der einzige Grund dafür, dass wir Gottes Eigentum sind, ist die Liebe Gottes zu uns. Er hat uns zuerst geliebt. Seine Liebe ist ein Geschenk an uns.
Es gibt ein Chorlied „Weil du mich liebst, bin ich dein Eigen“. Das passt so gut zu unserem heutigen Text.
Nur aus Liebe sind wir befreit – hier nimmt Mose in seiner Rede Bezug auf die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten – aus der Gewalt des Pharao.
Darum erinnert das erste Gebot auch ständig daran. Es beginnt ja mit den Worten: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat.
Es kann gar nicht oft genug gesagt werden – wir sind durch Gottes Hand befreit, nicht aus eigener Kraft. Und deshalb wird immer wieder betont, wie wichtig auch die Liebe zu Gott ist. Erinnern wir uns: Dies ist das vornehmste und größte Gebot.
Zweitens: Gott kann gar nicht anders, er ist zuverlässig und treu. Wäre er ein Mensch mit Vor- und Zunamen, könnte ich sagen, Beständigkeit ist sein zweiter Vorname. Er sagt zu, dass er den Bund halten will „bis in das tausendste Glied, bis in die tausendste Generation“.
Wenn ich jetzt anfange zu rechnen – pro Glied, pro Generation gehe ich von 30 Jahren aus, 30 mal Tausend – also 30.000 Jahre – da wird wohl keiner mehr nachzählen.
Gott ist treu, um das nachzuprüfen, brauchen wir keinen Treuetester, der den Partner beschattet, um ihm eine vermeintliche Untreue nachzuweisen. Gott ist treu, das hat er nicht nur während der Wüstenwanderung immer und immer wieder unter Beweis gestellt. Zahlreiche Zeugen können das bekräftigen, angefangen von Jakob bis hin zu Paulus. Und bis in die heutige Zeit.
Aber noch eine andere Eigenschaft Gottes wird hier betont – seine Leidenschaft. Gott zeigt Emotionen.
Mose spricht davon, dass Gott diejenigen bestrafen wird, die ihn hassen – Gott wird vergelten. In 2. Mose 20, 5 – in der ersten Gesetzgebung – heißt es: Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein leidenschaftlich liebender Gott und erwarte auch von dir ungeteilte Liebe. Wenn sich jemand von mir abwendet, dann ziehe ich dafür noch seine Nachkommen zur Rechenschaft bis in die dritte und vierte Generation.
Auch hier wieder der Tenor: nur Gott allein…
Gott ist ein eifernder Gott, wie es bei Luther heißt – eifersüchtig, gewaltig, auch gewalttätig, ja schonungslos gegen die, die nichts mit ihm zu tun haben wollen.
Heißt das jetzt aber, dass wir Angst vor ihm haben müssen?
NEIN!
Fürchten ja, Angst haben nein. Wir sollen Gott fürchten, das heißt ihm die Ehre geben. Ungeteilte Liebe – zuerst kommt Gott, dann alles andere.
Wie es auch von Paulus geschrieben wurde: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Oder noch besser: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen. Zu-fallen – nicht im Sinne von Zufall, sondern uns fällt etwas zu – und das muss nicht einmal verdient sein.
Und damit komme ich zum dritten Punkt:
Drittens: Gott hat agiert – jetzt sollen wir re-agieren. Er erwartet eine Antwort von uns. Und er hat eine Antwort verdient, alles andere wäre Blasphemie, also Gotteslästerung.
Gott sagt: „Du bist ein heiliges Volk“ – „So halte nun die Gebote und Gesetze“ – „Wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet, so wird der Herr, dein Gott, auch halten den Bund“.
Weil Gott uns liebt und weil er uns treu ist, deshalb sollen wir seine Gebote und Gesetze halten – deshalb dürfen wir seine Gebote halten – ja deshalb können wir seine Gebote halten. Er selbst will uns dazu befähigen.
Wenn wir auf Gott vertrauen, dann verlässt er uns nicht. Wenn wir an Gott festhalten, dann hält er uns fest. Ja, weil er an uns festhält und uns nicht verlässt, haben auch wir die Kraft, ihm treu zu bleiben.
Und wir haben eine unglaublich Mut machende Zusage von ihm: er wird uns treu sein und zu den Zusagen stehen, die er unseren Vorfahren gegeben hat.
Also ein beiderseitiger Vertrag? Ein Vertrag, der bis in die tausendste Generation gültig ist?
Gott sagt uns seine Treue zu, seine Hilfe, seinen Ratschlag – wenn, ja wenn wir seine Gebote halten. Seine Gebote geben uns Wegweisung, sind wie Leitplanken, die uns auf der Straße halten und uns davor bewahren, mit dem Auto in den Abgrund zu stürzen, wenn wir im Gebirge unterwegs sind.
Da wo die Leitplanken fehlen, weil sie herausgerissen sind, da wird es gefährlich. Da sind keine Grenzen mehr da.
Grenzen – heute in unserer grenzenlosen Gesellschaft – sind die überhaupt noch erwünscht? Ich sage, sie sind lebensnotwendig, ja überlebensnotwendig.
Und das für alle Seiten. Denn in dem Moment, in dem ich ohne Grenzen lebe, wird der andere in seiner Freiheit beschnitten, und umgekehrt gilt das gleiche.
Vor vielen Jahren war ich zur Blankenburger Allianzkonferenz, als das Thema hieß „Die 10 Gebote – Freiraum zum Leben“. Und ich denke, das bringt es auf den Punkt. Jeder hat das Anrecht auf einen bestimmten Freiraum. Nichts anderes sagen uns die Verse unseres heutigen Predigttextes. Und die Konsequenz daraus folgt auf dem Fuße – Gott wird seine Zusagen auch halten.
Genauso ist es auch in einer Ehe. Eine Ehe ist ein Zusammenleben zweier sehr unterschiedlicher Charaktere. Die Zusage Gottes gilt auch für eine Ehe – er liebt uns, wir sollen seine Gebote halten, dann wird er seine Zusagen auch halten.
In meiner eigenen Ehe ist vieles schiefgelaufen – ich gehe jetzt nicht näher darauf ein. Aber ich weiß jetzt, dass wir beide den größten Fehler gemacht haben, den wir nur machen konnten – wir haben die Grundregeln des Miteinanders nicht befolgt, die Achtsamkeit gegenüber dem Anderen, die Rücksicht auf die Befindlichkeit des Anderen, die Frage nach Gottes Willen. Wir haben, um bei dem Bild von vorhin zu bleiben, die Leitplanken nicht beachtet, die unsere Straße sicherer machen sollten. Und wir sind deshalb abgestürzt.
Heute kann ich sagen: Gott sei Dank, dass er der gnädige, der barmherzige und der liebende Gott ist, der uns auch dann auffängt, wenn wir es eigentlich gar nicht mehr verdient hätten. Das macht uns Mut, und das soll uns immer wieder Mut machen, es doch mit ihm zu versuchen.
Ich komme noch einmal auf das Chorlied zurück – hier heißt es: „Du bist mein Gott. Ich will erzählen und dich bezeugen durch mein Tun, damit auch andre dich erleben und sich im Leben dir anvertraun.“
Lassen wir uns einladen, ihn zu lieben, ihm treu zu sein und zu zeigen, dass wir sein Eigentum sind.
Amen.