Der Missionsbefehl

SAMSUNG CAMERA PICTURESDie folgende Predigt habe ich in meiner Heimatgemeinde am 12.07.2015 gehalten

Vor wenigen Wochen war wieder die Zeit für den Löwenzahn – die Blüte war vorbei, an den Stängeln hatten sich viele kleine Schirmchen darauf vorbereitet, den Samen in alle Winde zu verbreiten.

Die Pusteblume – als Kinder haben wir mit Freuden die verblühte Blume abgerissen, den Stängel hochgehalten und mit voller Kraft gepustet. Begeistert haben wir dann zugesehen, wie die Fallschirme wegflogen und sich irgendwo niederließen. Viele viele neue Löwenzahnpflanzen wurden so vorbereitet.

So sollte es auch mit dem Wort Gottes sein – es will sich ausbreiten wie die Löwenzahnpflanzen. Doch dafür braucht es Kinder, Kinder Gottes, die den Samen in alle Winde weitergeben. Leider ist es ja oft so, dass wir uns in unserer Gemeinde wohl fühlen, wir haben uns gut eingerichtet, es ist ja so bequem. Da gehen wir doch nicht hinaus und ärgern uns mit „denen da draußen“ herum! Doch genau das hat Jesus zu uns gesagt. Wir sollen hinausgehen, wir sollen uns mit denen da draußen herumärgern. Und er hat uns dazu eine wundervolle Zusage gegeben, wenn wir sein Wort befolgen und es tun.

Ich lese unseren heutigen Predigttext aus Matthäus 28,16-20

Der Missionsbefehl

16 Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte.

17 Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.

18 Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.

19 Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes

20 und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Amen.

Ich muss zugeben, ich war etwas überrascht, diesen Text mitten im Jahr als Predigttext zu sehen – ist er doch eher ein Text, der zum Jahresende passen würde oder allenfalls zum Ewigkeitssonntag. Es ist ja ein Abschiedstext.

Abschied ja – aber es ist kein trauriger Abschied, kein Abschied, bei dem man nicht weiß ob man sich jemals wiedersehen wird. Zumindest einer weiß es, dass dies kein Abschied für immer ist. Bei den Jüngern bin ich mir da nicht so sicher, aber Jesus weiß es, dass sie einander wiedersehen werden.

Und er verheißt den Jüngern einen Tröster – nicht in diesem Text, aber in diesem Zusammenhang. Den Tröster, der die Jünger befähigen wird, ihren Auftrag auszuführen „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker“

Jesus hat seine Jünger auf den Berg bestellt, so steht hier beschrieben. Vielleicht haben sie es einer dem anderen gesagt „Du, Jesus hat uns dorthin bestellt, komm mit!“ vielleicht hat er auch an einem der gemeinsamen Abende zu ihnen gesagt „Kommt alle hin!“ – wer weiß es schon so genau. Fakt ist: sie alle sind auf diesen Berg gekommen. Alle elf, die noch da sind. Auf welchem Berg sie Jesus treffen, verrät Matthäus an dieser Stelle nicht. Es ist ihm offenbar nicht so wichtig. Was Matthäus aber für wichtig genug hält um erwähnt zu werden: sie fallen vor ihm nieder, als sie ihn sehen.

Niederfallen – das ist das Zeichen für Ehrfurcht, für Anbetung, für das Wissen: Da ist einer, der ist viel größer als ich.

Etliche aber zweifelten…soll das heißen, sie zweifelten seine Auferstehung an, sie zweifelten an, dass es wirklich Jesus sein soll? Nein, so verstehe ich diese Stelle nicht. Vielleicht haben sie – zwei oder drei von ihnen – untereinander halblaute Bemerkungen ausgetauscht im Sinne von „Sehen wir recht? Oder täuschen uns unsere Augen?“ Jesus ist vor sie hingetreten in der Gestalt eines ganz normalen Menschen, nicht als Wundertäter, nicht plötzlich aufgetaucht wie in den verschlossenen Zimmern, in denen sie sich kurz nach seinem Tod aufgehalten hatten…und über diese Normalität haben sie sich vielleicht gewundert.

Doch dann wird wieder alles ganz anders, denn das was er jetzt sagt, das ist so richtig der Auferstandene, derjenige, dem alle Gewalt gegeben ist, und das sagt er ihnen auch unverblümt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ So sind seine Worte, kraftvoll, majestätisch, über jeden Zweifel erhaben. Jetzt ist er ganz Gott, ganz derjenige, dem die Vollmacht verliehen wurde von seinem Vater. Er hat sich diese Vollmacht erkämpft durch seinen Tod, den er ganz alleine erlitten hat, in dem er selbst von seinem Vater verlassen schien – ein grausamer Tod, so ganz allein scheinend zu sterben. Das wollen wir nie vergessen.

Nun aber – nun steht er vor ihnen in all seiner Vollmacht, er strahlt diese aus. Und sie erkennen, wer er ist. Und er gibt seinen Jüngern einen Auftrag. „Gehet hin in alle Welt!“

Alle Welt – das betrifft nun nicht mehr nur die Juden, sondern alle Völker. Das ist jetzt ein vollkommen revolutionärer Gedanke. Die Jünger, die den Juden angehören, dem auserwählten Volk Gottes, verzichten damit auf das Privileg des einzigen Glaubens, der selig machen soll.

Jesus ist gekommen, um alle zu sich zu rufen, ohne Rücksicht auf die Herkunft oder den Stand…so wie Paulus schreibt in Römer 1,16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Der Glaube, das ist hier die ausschlaggebende Kraft, nicht wo wir her kommen, nicht wie alt wir sind, nicht welche Hautfarbe wir haben – nur der Glaube ist wichtig.

Und nun sollen die Jünger alle Völker zu Jüngern machen. Eine schwere Aufgabe. Wirklich eine schwere Aufgabe?

Wie – das ist jetzt die Frage…sollen wir jeden ansprechen, der uns begegnet? Ganz egal, wo und wie, ganz gleich, wie wir damit bei den anderen ankommen?

Dann kann uns das passieren, was Eva passiert ist – einer richtigen Gottesstreiterin. Ihre Geschichte habe ich in einem Andachtsbuch von Volker Schädlich gefunden. Für sie gab es nichts anderes, als ständig für Gott da zu sein. Das war für ihre Umgebung manchmal ganz schön belastend, für die Kinder oft auch peinlich. Aber das störte Eva nicht. „Wer Gott liebt, der muss sich diese Liebe auch was kosten lassen“, war ihre Devise. Und sie ließ es sich etwas kosten.

„Sag mal, glaubst du an Gott?“ Diese Frage stellte sie ganz ungeniert ihrem Sitznachbarn im Bus. „Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe!“ „Ich kann das schon, aber Gott wird Sie nicht in Ruhe lassen“, war ihre Antwort auf seine genervte Entgegnung. Er suchte sich einen anderen Sitzplatz.
Es gab inzwischen Leute, die versuchten, schnell auf die andere Straßenseite zu kommen, wenn sie Eva nur schon von weitem sahen.
Sie hatte es gut gemeint, aber schlecht gemacht — es ging so weit, dass sie am Sonntag zu Mittag kein Essen für die Familie kochte, weil sie da in der Bibel lesen musste.

Kann man so seine Mitmenschen zu Jüngern machen? Ist das nicht eher abschreckend, eine solche Art und Weise? Die Kinder der lieben Eva – ich kann mir vorstellen, dass sie alles Mögliche über Gott dachten, nur nichts Gutes. Die Holzhammermethode führt oft zum Gegenteil des eigentlich Gewollten – dass sich die Menschen verschließen und für uns und unsere Argumente völlig unzugänglich werden.

Doch es geht auch anders. Einfach so leben, dass diejenigen, die uns sehen und beobachten – und wir werden sehr genau beobachtet! – dass diejenigen neugierig werden,

• was da wohl los ist mit den Menschen, die in die Kirche gehen und daraus natürlich auch kein Geheimnis machen,

• was da wohl los ist mit den Menschen, die zwar nicht jeden dritten Satz mit einem Bibelvers schmücken, denen man es aber anmerkt, dass da noch etwas anderes ist als das Gewöhnliche, das Übliche, das Althergebrachte,

• was da wohl los ist mit den Menschen, die auch mal von ihren Erlebnissen mit Jesus erzählen, ohne dabei aufdringlich zu werden.

Und wenn dann jemand neugierig genug ist, dann ist er auch offen für unser Reden. Dann kann er sich auch öffnen für das Wort Gottes. Dann kann auch die Übergabe des Lebens an Jesus erfolgen – dann wird ein Mensch Jünger Jesu.

Das äußere Zeichen für diese Jüngerschaft ist die Taufe – Jesus sagt: „Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ So wie wir jeden Gottesdienst im Namen der Trinität – des dreieinigen Gottes – feiern, so wird auch die Jüngerschaft mit der Taufe im Namen der Trinität besiegelt. Die Taufe ist nicht das wichtigste, wenn wir Jesus nachfolgen wollen, aber sie ist ein öffentliches Bekenntnis dafür, dass es von nun an nicht mehr nur nach meinem, sondern nach SEINEM Willen gehen soll.

Noch einen Auftrag gibt Jesus in seiner Abschiedsrede den Jüngern auf den Weg: „Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“

Das klingt ja richtig militärisch – ein Befehl Jesu an uns. Zumindest übersetzt Luther die Stelle so. In Hoffnung für alle und der Guten Nachricht heißt es „Lehrt sie, so zu leben, wie ich es euch aufgetragen habe.“

Mir persönlich gefällt sehr gut die Version in Neues Leben „Lehrt sie, alle Gebote zu halten, die ich euch gegeben habe.“ Die Gebote Jesu – die lassen sich ganz kurz zusammenfassen in das Doppelgebot der Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“

Das ist der Knackpunkt – wenn wir Gott lieben, wenn wir den anderen lieben, wenn wir uns selbst lieben – dann werden wir auch Zeugen sein für die Liebe Gottes, dann müssen wir nicht große Worte machen, dann brauchen wir nicht jeden im Bus anzusprechen wie diese Eva, von der ich erzählt habe…dann brauchen wir nur Liebe zu zeigen und Liebe zu üben. Auch wenn es mal schwer fällt, auch wenn unser Gegenüber uns reizen will bis zum äußersten, auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint. Und dann bekommen wir eine unglaublich Mut machende Zusage von Jesus.

„Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Was heißt das im Klartext, dieses „alle Tage“?

Das heißt nicht nur sonntags, wenn ich in den Gottesdienst gehe, das heißt nicht nur an Sonnentagen, wenn der Sonnenschein sowieso gute Laune macht und das Gemüt erheitert, sondern auch bei Regenwetter. Das heißt auch nachts, nicht nur am Tage, das heißt auch ganz besonders, wenn ich traurig bin, wenn ich drohe mutlos zu werden, wenn ich denke, ich bin von Gott und allen guten Geistern verlassen…

Dazu will ich Euch eine Geschichte erzählen, die ich bei Axel Kühner gefunden habe:
Ein kleiner Junge darf zum ersten Mal mit seinem Vater in der Eisenbahn mitfahren. Voller Neugier und froher Erwartung stehen sie auf dem Bahnsteig.

Endlich fährt der Zug ein. Vater und Sohn suchen sich einen Platz. Das Abteil ist voll besetzt. Der Junge schaut aus dem Fenster und plaudert mit den Mitreisenden über alles, was er draußen sieht. Plötzlich fährt der Zug in einen Tunnel. Es wird finster. Der Junge verstummt. Er sagt kein Wort mehr. Es wird immer dunkler. Da schiebt der Junge seine Hand zum Vater hin und fragt: „Papa, bist du noch da?“ Der Vater nimmt die Hand des Jungen und sagt: „Ja, ich bin noch da!“

Bald kommt der Zug aus dem Tunnel heraus und es wird wieder hell. Der Junge beginnt wieder zu plappern.

Auf unserer Lebensreise sind wir auch manchmal voller Vorfreude und Neugier. Wir genießen die Tage, das Glück lacht uns, wir sind froh, dass wir miteinander unterwegs sind. Aber dann kann auch ein Tunnel der Angst kommen. Dunkle Sorgen legen sich auf uns und wir wissen nicht, was noch kommt. Krankheit macht uns manchmal einsam und hilflos. Wir werden verwundet und gekränkt. Im Alltag geht der Glanz verloren, wir stehen vor großen Schwierigkeiten, die die Sonne verschwinden lassen. Alles wird finster um uns her und finster in uns. Doch gerade wenn wir denken, wir sind allein, ist ER bei uns.

Jesus weiß wie es ist, verlassen zu sein, fühlte er sich doch am Kreuz auf Golgatha auch verlassen, und das von seinem himmlischen Vater. Jesus ist den Weg ganz unten durch gegangen, er hat den Tunnel der Angst und des Todes durchlebt. Aber Gott führte ihn wieder heraus, zu einem neuen Leben und zu einem wunderbaren Licht. Jetzt ist er derjenige, der ganz oben ist. Und er hilft uns nicht an Schwierigkeiten vorbei, aber er hilft uns hindurch.

Viele von Euch kennen das Gedicht „Spuren im Sand“ von Margaret Fishback Powers. Ich glaube, es beschreibt ganz deutlich dieses „Ich bin bei euch alle Tage“, dieses Trostwort, das uns Jesus zuspricht:

Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.

Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen
war, blickte ich zurück.

Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur
zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn:
„Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du
mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.

Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am
meisten brauchte?“

Da antwortete er:
„Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie
allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.“

Amen.

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