Das Weizenkorn

DSC_1636Diese Predigt habe ich am 15.03.2015 (Lätare) in der Gemeinde in Crossen bei Zwickau gehalten

über Johannes 12,20-26

Ein Weizenkorn versteckte sich in der Scheune. Es wollte nicht ausgesät werden. Es wollte sich nicht opfern und sterben. Es wollte sein Leben retten. Es wollte prall und goldgelb bleiben. Es wollte sich selbst finden und verwirklichen.

— Es wurde nie zu Brot. Es kam nie auf den Tisch. Es wurde nie gebrochen und gesegnet, ausgeteilt und empfangen. Es schenkte nie Leben und Kraft. Es gab nie Freude und Sättigung.

— Eines Tages kam der Bauer. Mit dem Staub der Scheune fegte er das Weizenkorn hinweg. Im Staub und Wind war das Weizenkorn verloren, todeinsam und sinnlos bis zum Verfall.

„Mein Nektar gehört mir“, sagte die Sonnenblume, „ich lasse keine Biene naschen!“ Sie blühte noch eine kleine Zeit, verwelkte dann und hatte keine Frucht.

„Ich lasse mich doch nicht zerschneiden und auspressen“, sagte die Zitrone. Sie war reif und saftig. „Ich will mich selbst verwirklichen und entfalten!“ Sie lag noch eine Weile in der Obstschale, verfaulte dann aber, stank und kam in den Mülleimer.

Traurige Geschichten, die uns hier erzählt werden – unter diesen verschiedenen Leben würde stehen wie bei einem Aufsatz „Thema verfehlt – 6 – setzen…“

Menschen möchten leben, aber sie tun alles, um ihr Leben zu mindern. Sie wollen alles und verlieren dabei das Wichtigste. Sie halten Dinge, fest, die sie ohnehin loslassen müssen, und lassen Werte los, die sie in Ewigkeit behalten könnten.

Es gibt eine fruchtbare Einsamkeit, wenn man sich mit seinem Leben einsetzt und aussäen lässt. Dann wachsen unter schmerzlicher Veränderung die herrlichsten Lebensfrüchte.

Es gibt eine furchtbare Einsamkeit, wenn man sein Leben für sich behalten und vor anderen verstecken will. Man wird sich dort nicht finden und entfalten, sondern nur zerstören und am Ende todeinsam und verloren sein.

Fruchtbar und furchtbar – ein Buchstabe nur, der seinen Standort gewechselt hat – und den beiden Worten doch so unterschiedliche Bedeutung verschafft.

Vom Leben und Sterben, vom sich selbst Opfern und vom Gerettet werden spricht auch unser heutiger Predigttext.

Johannes 12,20-26:

20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.

21 Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen.

22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen’s Jesus weiter.

23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.

24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

25 Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.

26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren. Amen.

Da sind griechische Männer, die wollen Jesus kennenlernen, die wollen Jesus sehen, sicher ihn auch anfassen…und sie sagen es einem Jünger – der sagt es wieder einem anderen, es kommt mir ein bisschen so vor wie bei „Stille Post“…schließlich gehen sie mit dem Anliegen der griechischen Männer zu Jesus.

Die Griechen waren die Wanderer der Alten Welt, die großen Sucher nach der Wahrheit, die Gelehrten des Altertums. Aber sie waren auch Heiden. Dass hier so betont wird, dass Griechen Jesus sehen wollen, kann bereits darauf hinweisen, dass einst alle Heiden zu Christus kommen sollen.

Warum gehen sie ausgerechnet zu Philippus, so könnte man jetzt fragen. Vielleicht, weil er einen griechischen Namen hat und so vertrauenerweckend sein könnte.

Philippus wiederum hat nicht genug Mut, allein zu Jesus zu gehen, so nimmt er sich Andreas zur Verstärkung – Andreas mit einem ebenfalls griechischen Namen – und zu zweit wagen sie sich endlich zu Jesus.

Es ist natürlich für die Jünger eine große Sache – da sind Fremde, die wollen Jesus sehen, sehen im Sinne von Kennenlernen – vielleicht eröffnet sich hier eine neue Chance für Jesus und seine Jünger, vielleicht können sie den Todesdrohungen entgehen, die bereits gegen Jesus ausgestoßen worden sind – vielleicht, vielleicht, vielleicht…

Die Antwort von Jesus fällt allerdings etwas eigenartig aus.

Er geht augenscheinlich überhaupt nicht auf diesen Wunsch der Griechen ein – nein, er spricht erst einmal von seiner eigenen Verherrlichung! Im ersten Moment werden Philippus und Andreas vielleicht innerlich mit dem Kopf geschüttelt haben, was diese Bemerkung soll…

Doch Jesus meint damit, dass die Zeit herangekommen ist, um das Werk zu vollenden – er weiß, was ihm bevorsteht, doch das wird erst einmal alles andere als herrlich sein…

Jesus weiß, dass er sterben muss, doch daraus soll und wird Frucht entstehen – an ihren Früchten soll man sie erkennen, hat er ja auch mal gesagt…

Und er lädt seine Jünger ein zur Nachfolge – Nachfolge wie? Sollen wir alle Wanderprediger werden und umherziehen? Was für ein Blödsinn wäre das!

Nein, dort wo wir hingestellt sind, dort sollen wir Jesus nachfolgen…

Da gibt es in Bremen eine evangelischen Pfarrer, der hat das erste Gebot ernst genommen und mit seiner Predigt eine wahre Sturmflut an Entrüstung entfacht – Hassprediger wird er genannt, er würde zu Gewalt aufrufen – was eine totale Entstellung dessen ist was er gesagt hat.

Ich habe seine Predigt angehört so wie tausende andere auch, und ich finde keinerlei Gewalttätigkeit in seinen Worten. Er spricht deutlich gegen die Vermischung des Christentums mit fremden Religionen, also mit Buddhismus, Islam und anderen.

Doch er fordert genauso deutlich auf, Menschen zu schützen vor Angriffen, ganz gleich welcher Religion sie angehören.

Doch was passiert? Ihm werden die Worte im Mund herumgedreht, er wird angeprangert, sogar das Landesparlament wendet sich in einem Beschluss gegen die Predigt dieses Pastors…ja geht’s noch? Christenverfolgung im eigenen Land?

Da ist eine junge Frau, die arbeitet bei „Ärzte ohne Grenzen“ in Syrien und wird von der IS-Terrormiliz verschleppt und ist vor wenigen Tagen ermordet worden. Ihre Briefe, die gerettet werden können, erzählen davon, was ihr in der Haft Kraft gegeben hat. Sie schreibt:

„Gott ist der einzige, den man hat. Manche Menschen finden Gott in der Natur, ich finde Gott im Leid.“

Da gibt es 21 koptische Christen, die öffentlich hingerichtet werden, weil sie Christen sind. Das Video von der Hinrichtung geht um die Welt, als Zeichen der Macht. „Wir werden das Meer mit eurem Blut tränken!“ so lautet die Botschaft des Videos.

Zugegeben, drei besonders ausgeprägte Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit.

Doch diese Beispiele zeigen, dass Jesus recht hat mit seinem Wort von der Frucht…

Die Früchte sind unübersehbar…

Wäre die Predigt Olaf Latzels totgeschwiegen worden, keiner würde mehr darüber reden – doch jetzt haben über 110.000 Menschen diese Predigt aus dem Internet heruntergeladen, ausgedruckt geht sie von Hand zu Hand, selbst nichtchristliche Medien befassen sich damit – und sie wirkt noch weiter.

Die Briefe von Kayla Mueller werden veröffentlicht, sie sind Zeugnis dafür, dass jemand sein Leben für Gott hingibt, und sie werden der Same sein, der auch auf gutes Land fällt und weiterhin Frucht bringt.

Die 21 koptischen Christen sind nicht umsonst gestorben, das Video das da um die Welt geht, zeigt das wahre Gesicht des Islamischen Staates, und gerade die Grausamkeit der Hinrichtung ist ein abschreckendes Beispiel gegen dieses Regime.

Nun wird keiner von uns verlangen, dass wir uns hinrichten lassen sollen um des Glaubens willen – ist doch die Christenverfolgung in unserem Land bis auf wenige Ausnahmen nicht gang und gäbe.

Doch fragen wir uns folgendes: „Angenommen, du würdest verhaftet, weil du Christ bist, gäbe es genug Beweise, dich zu überführen?“

Sind wir wie der evangelische Pfarrer, der seine Meinung frei heraussagt, ohne an mögliche Folgen zu denken?

Oder sind wir doch eher das kleine Weizenkorn, das sich in der Ecke versteckt, weil es ungestört bleiben will?

Jesus nutzt ein Bild aus der Landwirtschaft – er nutzt oft Bilder aus der Landwirtschaft, denken wir nur an das Gleichnis vom Guten Hirten oder an das Gleichnis von den Weingärtnern. Mit diesen Bildern wird er verstanden. Seine Zuhörer wissen, wovon er spricht, es sind Bilder aus ihrem täglichen Leben.

Das Weizenkorn muss sterben, um Frucht zu bringen – so wie im Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld…dreimal ist der Samen vergeblich ausgesät, er wird gefressen, er verdorrt oder er wird vom Unkraut überwuchert und erstickt – aber der vierte Teil des Samens, der bringt Frucht, dreißigfach, fünfzigfach, hundertfach.

Ein Weizenhalm trägt in seiner Ähre 30 bis 40 Körner, es gibt sogar Sorten mit bis zu 100 Körnern.
Doch dazu muss der Samen, das Weizenkorn, ausgesät werden und erst einmal sterben – vermeintlich…

Doch Jesus sagt nicht „Es muss sterben“, nein, er sagt „Wenn es nicht stirbt, bringt es keine Frucht“…und er hat gesagt: „Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren. Wer es aber hingibt, wird es empfangen!“

Kein „Muss“, sondern ein „Kann“ oder ein „Will“…!

Jesus spricht weiter „Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.“

Das Wort für Leben im Urtext – das kann man auch mit Seele übersetzen…

Seele weist auf den Inhalt des Lebens, auf das Innenleben hin… das „Lieben“ meint hier das Bemühtsein, die Pflege, das Wichtignehmen.

Das „Hassen“, von dem Jesus spricht, hat nichts mit Hassgefühlen zu tun, wie man vielleicht annehmen mag.

Nein, hier geht es darum sein eigenes Leben, seine eigene Seele nicht so wichtig zu nehmen, sondern sie zurückzustellen gegenüber einem anderen.

Wer sich nur um die Befriedigung seiner Seele, seines Lebens kümmert, der verdirbt diese erst recht.

Doch wer sie aufs Spiel setzt, wer sie einsetzt, dem wird sie bewahrt bleiben – so meint es Jesus.

Und hier kommen wir wieder zum Weizenkorn…auch das Sterben des Weizenkorns dient nicht nur dem anderen, denn auch das Weizenkorn kommt nicht zu kurz. Denn das Sterben, die Selbstaufgabe, wird zum Bewahren des eigentlichen Lebens.

Solange noch von jemandem gesprochen wird, so lange ist dieser nicht tot, heißt es in einem Sprichwort.

Im übertragenen Sinne trifft das auch auf unser Weizenkorn zu…

Dabei ist es ganz natürlich, dass man sein Leben doch lieber schützen und bewahren will…doch Jesus will ja auch nicht, dass wir es sinnlos wegwerfen, sondern in seinem Sinne…

Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.

Jesus selbst ist das Weizenkorn, das sterben muss, damit Frucht entstehen kann. Doch Jesus ist ein besonderes Weizenkorn – seine Früchte sind unzählbar, so wie die Sandkörner am Meeresstrand.

Jesus dient uns, den Menschen. Das geht los, indem er seinen Jüngern immer wieder zeigt, wer er ist, was er ist, wie er ist.

Er dient uns, indem er uns seine Worte hingibt, die Worte, an die wir uns halten können, auf die wir uns berufen können, Worte, die uns helfen.

Er dient uns, indem er seinen Jüngern die Füße wäscht, indem er einen so niedrigen Dienst tut, wie ihn wohl noch nie ein Lehrer seinen Schülern getan hat.

Und er fordert uns auf, zu dienen. Diakonie – das griechische Wort für Dienen. Und das kann vieles sein. Es muss ja nicht unbedingt ein Arbeitsplatz in der Diakonie sein – ich selbst habe zwar eine Arbeit bei der Diakonie, aber das ist nicht das ausschlaggebende.

Wir sollen dienen, damit Jesus bei uns ist. Unser Dienst, ganz gleich, wo er stattfindet, unser Dienst ist ein Dienst an Jesus.

Ganz egal, wo Gott uns hingestellt hat, wir dürfen und können Diakonie leben.

Und da soll keiner denken, sein Dienst wäre nicht so viel wert wie der eines anderen. Nein, die Hausfrau kann genauso gut dienen wie ein Professor, und ein Müllmann kann genauso gut dienen wie ein Lokführer oder ein IT-Manager.
Wichtig ist, mit welcher Einstellung wir an unserem Platz stehen.

Wir gehören zu unserem Herrn, ganz egal wo. Jesus sagt uns, wo er ist, da sollen auch wir sein.

Fragen wir uns immer: Bin ich jetzt da, wo Jesus ist? Wir brauchen uns auch nicht zu beschweren oder zu verwundern, wenn wir in Dunkelheiten stecken, in Schwierigkeiten oder in Nöten. Gerade da ist Jesus auch, denn er ist durch alle Dunkelheiten gegangen, die es geben kann. Er weiß davon besser als jeder andere.

Und dann haben wir die Verheißung, dass sein Vater, unser Vater den Diener Jesu ehren wird…

Das ist doch eine so große Verheißung, da können wir nur noch mit Paulus sagen: Römer 8,18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.

Ein Junge liest ein Buch. Er versetzt sich ganz in die Rolle des Helden. Er lacht und weint und leidet mit ihm. Als die Situation für seinen Helden äußerst bedrängend wird und der Junge die Spannung kaum noch aushalten kann, ruft er laut: „Halte durch! Ich habe die letzte Seite schon gelesen!“

Wir haben die letzte Seite auch schon gelesen —
Wollen wir daran denken, wenn wir wieder einmal unser kleines Ich retten wollen.
Amen.

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.