Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen?
Lukas 18,7
Der vorstehende Satz ist der Schlusssatz zu dem Gleichnis von der bittenden Witwe. Ich habe hier das Gedicht „Die bittende Witwe“ von Eckart zur Nieden abgeschrieben, hier wird sehr treffend die Befindlichkeit aller Beteiligten beschrieben:
In einem Städtchen, abgelegen,
erreichbar nur auf schlechten Wegen,
sodass, weil die Provinz so tief,
sich nie ein Fremder her verlief,
da sagten abends um halb acht
sich Fuchs und Hase gute Nacht.
Nun kann ein Nest, sei’s noch so klein,
nicht ohn‘ lokale Größen sein.
Ein Ort, sei er noch so verloren,
braucht trotzdem Honoratioren.
Ein Richter war’s in diesem Falle,
und ausgeliefert war’n ihm alle.
Willkürlich hat er Recht gesprochen.
Leicht fiel’s ihm jemand einzulochen
im Knast bei Wasser und bei Brot,
wenn der ihm nicht genügend bot.
Wobei es völlig kalt ihn ließ,
ob der die Unschuld ihm bewies.
Hat einer reichlich hingeblecht,
sprach er zu seinen Gunsten Recht.
So hat in ungestörter Ruh
– die Hände auf, die Augen zu –
er die Gerechtigkeit verletzt.
Es war ihm niemand vorgesetzt,
und keinen Chef gab’s, den das juckte
und der ihm auf die Finger guckte.
Die armen Leute hatten’s schwer,
die reichen gut. So macht sich der
Magister der Jurispurdenz
jahrzehntelang ‘nen schönen Lenz.
Nun lebte eine arme Frau
im Ort, der ging es ziemlich mau,
weil ihr im vor-vorletzten Jahr
ihr Ehemann gestorben war.
Die kleinen Kinder, die sie hat
– drei an der Zahl – sind selten satt.
Die einz‘gen Kleider sind zerrissen.
Sie gehen nur mit nackten Füßen.
Sie hat ja weder Lohn noch Rente,
sodass sie sich was kaufen könnte.
Ein Gärtchen nur beliefert diese
Familie spärlich mit Gemüse.
Doch in dem Häuschen nebenan
wohnt ein besonders übler Mann,
der ihre Kohl- und Kräuterbeete
am liebsten für sich selber hätte.
Er knurrt: „Hör, Frau, ich sage dir:
Der Garten, der gehört jetzt mir.
Dein Mann, der hatte bei mir Schulden.
Ich will mich länger nicht gedulden,
auf Zahlungen von dir zu warten.
Drum nehm ich mir dafür den Garten.
Quitt sind wir, wenn ihn genommen.
Da bist du noch gut weggekommen!“
Die Frau kriegt einen Riesenschreck.
„Du nimmst mir nicht den Garten weg!
Auch stimmt nicht, dass ich Schulden hatte!
Nicht ich und nicht mein Ehegatte!
Das sind doch alles freche Lügen!
Du willst mich um mein Land betrügen!
Das lass ich nicht mit mir geschehn!“,
spricht sie und lässt ihn einfach stehn.
Jedoch der gierig-dreiste Mann
lässt nicht so schnell von seinem Plan.
Er weiß, er sitzt am längern Hebel.
Fängt an, den Zaun bei Nacht und Nebel
auf seiner Seite abzureißen,
die Bohnenstangen umzuschmeißen,
was Frau und Kinder nicht entfernten,
ganz einfach für sich selbst zu ernten.
Dann kommt doch dieser Übeltäter
mit einem riesengroßen Köter
und kettet ihn dort an den Zaun.
Das hindert ihn dran abzuhaun,
und hindert andre, ungebeten
den ganzen Garten zu betreten.
Was er bewacht an langer Leine,
das sieht der Kerl nun als das Seine.
Die Witwe, als sie dieses sah,
war wütend und den Tränen nah.
Ohnmächtig fing sie an zu klagen:
„Ich werde es dem Richter sagen!“
Dem bösen Nachbarn aber machte
das keine Angst, so dass er lachte:
„Meinst du“, so sprach er ungeniert,
„dass der für dich nen Finger rührt?
Womit willt du ihn denn bestechen
und nötigen, dir Recht zu sprechen?
Wenn jemand nicht bezahlen kann,
dann rührt der keine Akte an!
Und sollt es wirklich dir gelingen,
Bestechungsgeld herbeizubringen,
genug, dass er zufrieden wär –
dann kriegt er halt von mir noch mehr!“
Sie sprach: „Das könnte dir so passen!
Das werd ich mir nicht bieten lassen!“
So sagte diese Witwe zwar,
doch war ihr insgeheim schon klar:
Was der da sagt, ist nicht verkehrt.
Sie hatte längst davon gehört,
der Richter sei sehr faul und gierig,
und Recht zu kriegen, sei sehr schwierig.
Was solls? Sie musste es probieren
und weigert sich zu resignieren.
Das Haus des Richters war verschlossen.
Sie klopfte laut. Da steckt verdrossen
den Kopf heraus ein alter Knecht.
„Hau ab! Der Richter spricht grad Recht!“
Was aber nicht die Wahrheit traf –
der Richter war beim Mittagsschlaf:
Wie Bäumesägen oder schlimmer
drang Schnarchen aus dem Hinterzimmer.
„Ich muss ihn sprechen! Es ist dringend!“,
rief da die Witwe händeringend.
Und wie sie dies so laut gesprochen,
war schon das Schnarchen unterbrochen,
der Richter demnach aufgeweckt.
Das hatte sie damit bezweckt.
Der Richter kam erbost zur Tür.
„Was soll der Lärm? Was willst du hier?“
„Recht will ich, und du sollst’s besorgen!“
„Das geht jetzt nicht. Hau ab! Komm morgen!“
Und ohne jedes weitre Fragen
wurd‘ laut die Türe zugeschlagen.
Am nächsten Morgen, schon beizeiten,
macht sie erneut ihm Schwierigkeiten.
Sie klopft und ruft, sie lärmt und fleht,
bis endlich doch die Tür aufgeht.
Die Frau beginnt mit dem Bericht.
Jedoch der Richter unterbricht,
eh sie zu Ende hat erzählt,
ganz ungeduldig: „Hast du Geld?“
„Geld nicht“, spricht sie,
„ doch hab ich Recht!“
„Oh“, knurrt der Richter,
„das ist schlecht.
Kann dir nicht helfen angesichts
der Armut. Ohne Geld läuft nichts!“
Was soll die arme Frau denn nun
zur Rettung der Familie tun?
Damit die Kinder nicht verhungern,
bleibt ihr nur, hier herumzulungern.
Dann kriegt sie sicher auch mal mit,
wenn jener aus dem Hause tritt.
So kommts. Der Richter will ne Runde
spazierengehn zur Abendstunde.
Da stürzt die Witwe auf ihn zu
und sagt: „Herr Richter, wann wirst du,
statt deine Geldgier nur zu stillen,
denn endlich deine Pflicht erfüllen?“
Sie appelliert, sie fleht, sie schreit.
Genervt von soviel Dreistigkeit
versucht der Mann, ihr zu entfliehn.
Ganz eng jedoch verfolgt sie ich,
sie hängt an ihm wie eine Klette
und sagt, dass die Pflicht er hätte,
fleht, dass – wenn die ihm nichts bedeute –
ihn wenigstens Erbarmen leite. D
ie Leute gucken. Es wird peinlich.
Die wird er nie los, höchstwahrscheinlich!
Am liebsten würde er sie schlagen!
Als Richter kann er das nicht wagen…
so leidet er, statt sie zu boxen.
Dann kehrt er noch im „Roten Ochsen“
kurz ein zu einem Abendtrunk.
Auch hier macht jene Witwe Stunk,
und statt vergnügtem „Hoch die Tassen“
muss er den Stammtisch bald verlassen.
Jedoch ist dann am nächsten Tage
noch nicht zu Ende seine Plage.
Die Frau hat morgens, kurz vor acht,
zwei von drei Kindern mitgebracht.
Nun stehn den ganzen Tag die Kleinen
vor seinem schönen Haus und weinen.
Dies – mit der Witwe Flehn und Klagen –
schlägt ihm allmählich auf den Magen.
Er schickt den Knecht, sie zu vertreiben,
doch nützt es nichts, die Leute bleiben.
Weil sie an seinen Nerven sägen,
beginnt der Mann zu überlegen:
Die Müh, sich ihrer zu erwehren,
ist mehr, als sie sich anzuhören.
Er gibt ihr nen Gerichtstermin.
Die arme Witwe nutzte ihn.
Recht war gesprochen und geschrieben,
der böse Nachbar wurd vertrieben
und auch verpflichtet und belehrt,
zu repariern, was er zerstört.
Das tat mit nem sehr unwirschen
Geknurre und mit Zähneknirschen.
Die Frau war froh, der Feind bezwungen,
der Richter redlich – notgedrungen.
Wenn schon der Mann, der hier beschrieben,
der armen Witwe Feind vertrieben,
weil die sich lästig an ihn hängte
und immer wieder ihn bedrängte –
wie sollte Gott nicht Hilf gewähren,
wenn wir ihn mit Vertrauen ehren!
Er ist gerecht, ganz unbestritten,
und froh, wenn wir beständig bitten.
Klar, dass wir seine Hilfe kriegen,
wenn wir ihm in den Ohren liegen.