Die folgende Predigt habe ich am 13.10.2013 in meiner Heimatgemeinde gehalten.
Ich werfe als erstes eine These in den Raum: Man kann einfach nicht NICHTS tun…
Was machen Atheisten bei ihren Versammlungen eigentlich? Wenn sich Christen am Sonntagmorgen in der Kirche treffen, dann feiern sie gemeinsam Gottesdienst. Sie beten gemeinsam, singen gemeinsam, glauben gemeinsam.
Der Atheist definiert sich bekanntlich dadurch, dass er nicht glaubt. Beim Stammtischtreffen der Konfessionslosen und Atheisten – das gibt es wirklich – kommen also Leute zusammen, um gemeinsam nicht zu glauben.
Das ist ungefähr so, als gäbe es einen Verein der Nicht-Fußballspieler, die sich einmal in der Woche treffen, um gemeinsam nicht Fußball zu spielen.
Würde sich dieses Phänomen allein auf die überschaubare Gruppe des organisierten Atheismus beschränken, wäre es wohl nicht mehr als eine Spitzfindigkeit. Aber es gibt noch andere Gruppen, die immer einflussreicher werden.
Eine davon sind die Vegetarier. Auch hier ergibt sich die Definition aus einem Nicht-Tun heraus: Vegetarier essen kein Fleisch. Die Steigerung ist der Veganer, der weder Fleisch noch sonstige tierische Produkte zu sich nimmt, der also den Vegetarier dadurch übertrifft, dass er noch mehr nicht tut.
Allen Gruppen gemeinsam ist, dass sich ihre Einstellung mit einem starken Gefühl intellektueller oder moralischer Überlegenheit verbindet. Es tut einfach gut, sich von der Masse abzuheben und sich seine eigene Überlegenheit von anderen bestätigen zu lassen.
Hier beginnt jedoch ein Problem. Unsere Gesellschaft ist zunehmend dabei, das Nicht-Tun zum höchsten ethischen Prinzip zu erheben. Das gilt insbesondere im ökologischen Bereich.
Ein neues Schlagwort ist aufgetaucht „Der CO2 –Fußabdruck“. Dieser Begriff bezeichnet eine Menge von Kohlendioxid, die ein Lebewesen ausstößt. Je kleiner also mein CO2-Fußabdruck ist, umso besser bin ich. Dummerweise geschieht es schon beim Atmen, dass wir CO2 ausstoßen.
Und ganz Schlaue wollten schon die Tatsache besteuern, dass Kühe durch ihre natürliche Öffnung Methan ausstoßen – ich will es mal so zivilisiert ausdrücken.
Wassersparen ist auch so ein Schlagwort – wir haben das Glück in einem wasserreichen Land zu leben, und alles Einsparen von Wasser hier nutzt keinem in der Trockenzone etwas, denn wir können halt nicht das Wasser aus unserem Land per Leitung in die Sahelzone transportieren, wäre schön, wenn es das gäbe…
Wenn wir das Ganze auf die Spitze treiben wollen, dann verlangen wir also am besten nicht mehr atmen, nicht Sport treiben, nichts mehr herstellen, das irgendwie Energie verbraucht…
Wenn jetzt jemand denkt, diese übertriebene Denkweise sei in unserer Neuzeit entstanden, der irrt gewaltig. Bereits in biblischen Zeiten finden wir diese Geisteshaltung.
Natürlich machte man sich damals keine Sorgen über methanausstoßende Kühe oder das Nicht-Fußball-Spielen oder Nichtschwimmer unter den Eisbären.
Doch es gab bereits eine Gruppe von Leuten, deren oberstes moralisches Gesetz darin bestand, bestimmte Dinge nicht zu tun. Und es gab damals schon jemanden, der sie auf die Unsinnigkeit dieser Haltung hingewiesen hat. Betrachten wir dazu unseren heutigen Predigttext.
Ich lese Markus 2,23-28
Das Ährenraufen am Sabbat
23 Und es begab sich, dass er am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen.
24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?
25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren:
26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren?
27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
28 So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.
Amen.
Wo Menschen miteinander leben, sind Regeln notwendig. Es kann nicht sein, dass jeder tut, was ihm gerade in den Sinn kommt. Gesetze wurden erlassen, um das Zusammenleben der Menschen untereinander überhaupt zu gewährleisten.
Doch wo kommen wir hin, wenn wir nur noch den Buchstaben des Gesetzes sehen und nicht mehr den Menschen, der dahinter oder darunter steht?
Wir haben vor wenigen Wochen eine Predigt gehört über die zehn Gebote – Angebote zur Freiheit, Angebote zum Leben, das sollen sie sein. Dafür wurden sie uns gegeben.
Das Gebot, um das es heute geht, das Sabbatgebot, je nach Übersetzung das dritte oder das vierte von zehn Geboten, ist uns gegeben zum Schutz vor Überarbeitung, zum Schutz vor Burn-out, wie es neuerdings heißt, zum Schutz unserer Gesundheit.
Hören wir einfach noch einmal im Wortlaut, wie es im 2. Mose 20 steht.
8 Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest.
9 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun.
10 Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.
11 Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
Bereits in der Schöpfungsgeschichte heißt es: Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.
Wir sollen ruhen, den Tag heiligen – was heißt das überhaupt?
Der siebente Tag wurde uns geschenkt, um Atem zu holen, um eine Auszeit nehmen zu können, um Kraft für die nächsten Arbeiten zu schöpfen.
Die Juden haben sich darüber viele Gedanken gemacht und niedergeschrieben, was sie meinten an Arbeit zum Sabbat eben nicht tun zu dürfen. 39 Arten von Arbeit sind verboten, festgehalten im Talmud.
Dazu kommen noch viele viele Spezifikationen von Tätigkeiten, es sind über 600 einzelne, die alle als Arbeit am Sabbat gelten und deshalb untersagt sind. Es ist kaum möglich, nicht gegen das Sabbatgebot zu verstoßen.
Nur die Schriftgelehrten haben das Wissen, das sie befähigt, weitgehend ohne Verstoß gegen das Sabbatgebot leben zu können. Und sie wachen mit Argusaugen darüber, dass auch andere das Sabbatgebot halten.
Und nun passiert dies:
Dieser Jesus von Nazareth, dieser Mensch, der den Pharisäern und Schriftgelehrten schon lange ein Dorn im Auge ist, der geht an einem Sabbat mit seinen Jüngern einen Weg entlang, rechts und links steht Getreide, und die Jünger zupfen übermütig die reifen Ähren herunter und klopfen die vollen Körner heraus – ein unglaublicher Verstoß gegen das Verbot zu ernten bzw. die Ernte zu reinigen.
Und so stellen sie Jesus zur Rede: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?
Schau doch mal hin – siehst du nicht, was deine Jünger da machen? Ist es dir gleichgültig, dass sie gegen ein so wichtiges Gebot wie das Sabbatgebot verstoßen?
Vorwurfsvoll kommt das rüber…vielleicht auch ein bisschen schadenfroh, sie denken, jetzt haben sie wieder einen Anhaltspunkt, etwas, aus dem sie diesem verhassten Menschen einen Strick drehen können. Und alles mit einem frommen Mantel verkleidet…im Geiste reiben sie sich bereits die Hände….
Die Antwort Jesu ist nicht die, mit der sie gerechnet haben – wie jedes Mal, wenn sie glauben, ihm eine Falle stellen zu können, kommt etwas völlig anderes zurück.
Jesus erteilt ihnen eine Lehrstunde im Geschichtsunterricht…
Er bezieht sich auf ein Geschehnis, das sie kennen müssen, doch er formuliert es so, als seien sie die Ungebildeten, diejenigen, denen man alles noch einmal erklären müsse…
Als erstes stellt er eine Gegenfrage: Habt ihr nie gelesen, was David tat?
Provokatorisch, so kommt es bei den Pharisäern an. Natürlich kennen sie diese Geschichte von David, sie haben es ja studiert, das Alte Testament, da macht ihnen niemand etwas vor.
Doch die Schlussfolgerung, die Jesus zieht, damit kommen sie nicht zurecht, das passt nicht in ihr Schema.
Jesus nimmt Bezug auf David, wie er von den Schaubroten aß – diese Schaubrote waren 12 ungesäuerte Brotkuchen nach der Zahl der 12 Stämme Israels. Sie wurden für jeden Sabbat neu bereitet und im Heiligtum des Tempels als Opfergabe bereitgestellt. Die alten Brote waren Teil der Versorgung der Priester mit Lebensmitteln.
Und nun aß David von diesen Schaubroten – ein ebensolcher Eklat wie das Ährenraufen der Jünger in unserer Geschichte.
Doch ganz so ist es auch nicht – David aß von den Schaubroten, weil er Hunger hatte, die Jünger haben ganz aus Übermut – so kommt es zumindest bei den Pharisäern an – die Ähren ausgezupft…
Und doch gibt es eine, wenn auch kleine Übereinstimmung.
David war ein Mensch wie jeder andere, und doch etwas Besonderes. Er war der Auserwählte, der gesalbte König, auch wenn er den Königsthron noch nicht bestiegen hatte, sondern auf der Flucht vor Saul im Tempel Zuflucht suchte.
Jesus ist auch der Auserwählte, aber der einzige wirklich Auserwählte, dem Vollmacht verliehen wurde über alles.
Und in dieser Eigenschaft kann er den Pharisäern in ihrer Überheblichkeit und in ihrem Verblendetsein gegenübertreten, indem er sagt:
Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
Vor vielen Jahrhunderten gab es bereits einen Rabbi Simeon ben Menasia und Rabbi Jonathan ben Joseph, diese formulierten im Jahr 180 „Siehe, der Sabbat ist euch übergeben, nicht ihr seid dem Sabbat übergeben.“
Dabei ging es allerdings nur um die medizinische Behandlung, wenn Gefahr für Leib und Leben des Betroffenen bestand oder auch nur möglich war.
Losgelöst aus diesem Zusammenhang klingt dieser Satz der beiden Rabbiner fast wie der von Jesus: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
Und genau das ist der Kernpunkt unserer Geschichte – wenn wir noch einmal zurückschauen wollen auf die Schöpfungsgeschichte – hier hat Gott als der liebevolle Schöpfer und vorsorgende Vater den Sabbat eingeführt — uns zuliebe, seinen Kindern zuliebe.
Der Fehler, den die Pharisäer begehen, ist der, dass der Sabbat seinen eigentlichen Gehalt verloren hat, ohne dass es ihnen bewusst ist. Nur noch ein leeres Gerüst aus Vorschriften, Verboten, Deutungen und Auslegungen – der Mensch selbst ist nicht mehr der Mittelpunkt.
Jesus stellt mit seinem Satz die richtige Reihenfolge wieder her: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
Und er fügt hinzu: So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.
Hier stellt Jesus seine Autorität als Gottgesandter gegen die Autorität eines religiösen Fanatismus, der Gott nur als den Gesetzgeber und Gesetzeswächter kennt und nicht als liebenden Vater.
Eine weitere Provokation – der Ausdruck „Menschensohn“ ist den Pharisäern geläufig. Bereits bei Daniel wird von dem Menschensohn berichtet, dem alle Gewalt im Himmel und auf der Erde verliehen werden soll.
Und jetzt spricht dieser Jesus von sich als dem Menschensohn…
Diese Gotteslästerung setzt dem Ganzen die Krone auf.
Vorbei ist es mit dem Händereiben, jetzt sind die Pharisäer wahrscheinlich wieder wütend, und das können sie nicht auf sich beruhen lassen. Wenn wir im Markusevangelium weiterlesen, wird dann auch wenige Verse nach unserem Text bereits das erste Mal von dem Plan berichtet, Jesus umzubringen…
Doch lassen wir die Pharisäer einmal beiseite. Wenden wir uns uns und unserem Leben zu…
Wir leben in einem Land, in dem die Freiheit ganz groß geschrieben wird. Freiheit ist ein Schlagwort, das gern missbraucht wird – im Zusammenleben mit den anderen betont mancher seine Freiheit und vergisst dabei, dass der andere doch genau so viel Anspruch darauf erheben kann.
Doch auch unser freies Land hat eine Gesetzgebung….
Ich habe vor einigen Jahren eine Umschulung besucht zur Sicherheitsfachkraft – im Lehrplan enthalten war auch die Arbeit mit einigen Gesetzbüchern, die in Deutschland in Kraft sind.
Hauptsächlich das Grundgesetz, das Bürgerliche Gesetzbuch und Strafgesetzbuch waren die Gesetzbücher, mit denen wir gearbeitet haben.
Bei einem Vergleich zwischen den 10 Geboten und den deutschen Gesetzen ist mir erschreckendes aufgefallen: Unser ach so christliches Land hat unglaublich viele Gesetzestexte erlassen, um das Leben der Menschen miteinander zu regeln.
Die meisten Gesetze und Paragraphen gibt es, um Eigentum zu schützen. Nicht nur der Schutz des materiellen, auch der Schutz des geistigen Eigentums ist haarklein geregelt – fast ist man an die zahlreichen Bestimmungen des Talmud erinnert.
Schwieriger wird es schon beim Schutz des Lebens – da ist gar nicht mehr so viel an Gesetzestext vorhanden wie beim Eigentum.
Und wo bleibt das Leben mit Gott, wo bleibt das Leben unter Gottes Wort?
Außer in der Präambel zum Grundgesetz ist nirgendwo erkennbar, dass wir in einem christlichen Land leben.
Und das Sabbatgebot? Es gibt ein Arbeitszeitgesetz und ein Ladenschlussgesetz – beide sind dafür gedacht, die Gesundheit der Arbeitenden zu schützen – und beide sind durch Zusätze, Ausnahmeregelungen und aufgrund Lohndumping dermaßen aufgeweicht, dass es gar nicht mehr groß auffallen würde, wenn es sie nicht mehr gäbe…
Unsere Freiheit hat uns gar nicht so viel gebracht, könnte man meinen.
Und wie halten wir es privat? Sind wir frei, unseren Sabbat, meist Sonntag, zu gestalten, um auszuruhen, um neue Kraft zu schöpfen für die nächste Woche?
Ich will hier nicht als Pharisäer dastehen – bei weitem nicht.
Und schon gar nicht möchte ich die übergroße Freiheit publizieren.
Aber eines möchte ich sagen: wir sind frei, unseren Sabbat, unseren Sonntag, so zu verbringen, dass wir uns wohl dabei fühlen.
Und dann kann es eine Wanderung sein, die ich unternehme, dann kann ich auch zu einem Fußballspiel gehen oder in meinem Falle eher Eishockey, dann kann ich auch mal einen Nachmittag verschlafen…ich kann auch zu einem Gottesdienst gehen, aber ich muss nicht….
Wir haben diese innere Freiheit…
Und keiner hat dabei das Recht, sich als besser zu fühlen als der andere. Sonst gehen wir ganz schnell in die Falle, die heißt „Pharisäertum“….
Wir müssen uns aber auch unserer Verantwortung bewusst sein, verantwortlich mit unserer Zeit umzugehen, immer eingedenk der Tatsache – wir werden beobachtet. Von Gott und den Menschen. Und wir werden bewertet – von Gott und den Menschen.
Nachdenkenswert ist ein Spruch, den ich gefunden habe, dessen Quelle mir aber leider unbekannt ist: „Wenn Sie wegen Ihres Christseins verhaftet würden, gäbe es dann genügend Beweise, um Sie zu überführen?“
Die Freiheit die wir haben, ist die des Kindes im Gegensatz zum Knecht, zum Diener. Und weil wir die Kinder Gottes sind, brauchen wir nicht krampfhaft Gesetze zu befolgen, um ihm zu gefallen.
Ein Vater liebt seine Kinder auch wenn sie mal nicht tun was er will. Er liebt sie ohne Wenn und Aber, ohne Bedingungen.
Wir müssen uns keine Zwänge auferlegen, wir dürfen uns von seiner Liebe regieren lassen. Und diese Liebe kann uns geben, dass wir aus uns heraus das Richtige tun. Wir müssen nicht auf das hören, was andere als gut und richtig anpreisen.
Und dann können wir das tun, was uns gut tut. Wir müssen nicht nichts tun, wie ich am Anfang schon sagte, ist es gar nicht möglich, nichts zu tun…aber es ist sehr wohl möglich, das Falsche zu tun.
Ein Trostwort zum Schluss: Jesus hat uns zugesagt: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Seine Liebe trägt uns – und wir können uns tragen und von ihm führen lassen.
Ich lade dazu ein.
Amen.