Vom richtigen Sehen

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Ein kleiner Junge fragte seinen Vater, wie groß ist Gott?
Der Vater antwortete erst mal nicht, richtete den Blick zum Himmel, sah ein Flugzeug und fragte seinen Sohn: „Wie groß ist dieses Flugzeug?“
Der Kleine antwortete ohne zu zögern: „Sehr klein, Papa, kaum zu sehen!“
Dann brachte er seinen Sohn zum nächsten Flughafen. Während sie sich einem Flugzeug näherten, fragte er seinen Sohn: „Und jetzt? Wie groß ist es jetzt?“
Fasziniert antwortete der Kleine: „Es ist riesig, Papa, man könnte es nie übersehen!“
Daraufhin sagte der Vater: „So ist Gott! Seine Größe ist abhängig von der Ferne, die du zu ihm hältst. Je näher du ihm bist, desto größer wirkt Gott in deinem Leben!“

Auf die Perspektive kommt es an.

Wir haben hier auch eine Perspektive – das gute Essen, das da vor uns steht und das uns einlädt zuzugreifen. Das Frühstück spricht alle unsere Sinne an – wir sehen es, und wir bekommen Appetit. Wir riechen es, den Kaffee, die Blumen, alles, was duftet, wir werden es bald schmecken. Wir hörten vorhin die Kaffeemaschine blubbern, und wir fühlen den Sonnenschein, der draußen ist, die Wärme, die er hervorbringt, die Wärme durch die Heizung, die Wärme des Kaffees, den uns die lieben Schwestern vorbereitet haben.

Ich möchte mit euch beten:

Alle Augen hoffen
auf die Hand des Herrn.
Sie steht immer offen,
denn sie segnet gern.
Hält auch jetzt uns allen
hier den Tisch bereit.
Herr, lass dir gefallen
unsre Dankbarkeit!
Amen

Blindsein oder sehen?

Ich habe zu Hause eine DVD von Carlos Martinez, den ich super finde – einer der besten Pantomimen der Welt. Eines seiner Stücke heißt „Der Stein“.

Fünf Personen werden hier gezeigt:

Der Erste ist einer, der seinen Mitmenschen übel will. Hinterlist und Bosheit sind seine zweiten Vornamen. Er legt einen Stein aus und beobachtet und freut sich darüber, wie sie stolpern und dabei Verluste zu beklagen haben. So richtig gemein ist das, was er macht. Und er hat ja auch mehrfach Erfolg. Da kommt der zweite Mensch ins Bild – auch von Carlos Martinez dargestellt.

Der zweite ist ein Zeitungsleser: Er ist interessiert an den Nachrichten aus aller Welt und vergisst dabei, auf seine unmittelbare Umgebung zu achten. Die Folge: ein schmerzhafter Sturz über einen Stein, den er übersehen hat beim Zeitunglesen. Hinkenderweise verlässt er den Ort des Geschehens. Man sollte halt nicht zwei Dinge gleichzeitig tun: Zeitunglesen und dabei herumlaufen beispielsweise sind nicht unbedingt kompatibel. Die Augen offenhalten wäre besser gewesen, dann wäre er jetzt schmerzfrei. Und der Beobachter hätte nichts zu lachen gehabt. Aber so hat er den Spaß und äfft auch noch das Hinken des Geschädigten nach.

Als dritte Person in unserer Geschichte kommt ein eitles Mädchen: sie ist hübsch, sie ist hervorragend geschminkt und gestylt, und sie ist total selbstverliebt. Also schaut sie die ganze Zeit in den Spiegel, denn da schaut ihr der perfekte Mensch entgegen. Die Umwelt ist ihr egal, diese kann ihrer Schönheit ja eh nicht das Wasser reichen. Und so kommt es, was kommen musste: auch sie stolpert über diesen Stein und verliert dabei sowohl den Spiegel als auch die perfekte Frisur. Völlig deprimiert verlässt sie die Stelle ihrer Schande. Und der Beobachter hat wieder was zu lachen und ahmt sie nach.

Als Viertes kommt ein Kind beim Eis essen: es genießt jeden Schleck von diesem leckeren Eis. Es ist vollkommen versunken in den Genuss der kalten Köstlichkeit. Und wie ein Kind halt ist: es vergisst alles um sich herum. Darum ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch dieses Kind über den im Weg liegenden Stein fällt, weil es einem Freund etwas zuruft und gleichzeitig zu ihm hinrennen will. Der Verlust ist groß. Nur noch die leere Eistüte – die ja meist wie Pappe schmeckt – ist noch übrig, das Eis selbst liegt im Dreck. Ein heulendes Elend wird aus dem Kind. Dabei war es doch soeben noch sooo glücklich. Und der Beobachter? Grausam, wie er sich sogar über das Unglück eines Kindes freuen kann.

Und als Fünfter und Letzter kommt ein Blinder mit Stock: Hier freut sich der Erste ganz besonders auf den Effekt, denn er ist sich sicher, dass dieser Blinde auf jeden Fall über den Stein fallen wird. Doch ausgerechnet derjenige, der ein Handycap hat, der bemerkt das Hindernis und steigt wohlbehalten darüber. Ein Ärgernis für denjenigen, der sich in seiner Bosheit schon auf einen neuen Erfolg seiner Hinterlist gefreut hat. Und der überraschende Schluss unseres Filmes.

Diese fünf Leute teile ich jetzt mal in drei Kategorien ein:

– böse
– unaufmerksam
– wachsam

Böse – das ist derjenige, der den anderen Steine in den Weg legt und sich freut, wenn sie darüber fallen und sich womöglich sogar verletzen. Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu! heißt ein Sprichwort. Was dieser Kerl davon hat, anderen zu schaden, will mir ehrlich gesagt nicht in den Kopf.

Aber haben wir das Recht, diesen Kerl zu verurteilen? Ist ein bisschen Schadenfreude nicht doch schön? Wenn jemandem etwas Unangenehmes passiert, lachen wir doch auch gern mal darüber, und wenn es nur in einem Film ist. Schadenfreude ist die schönste Freude, heißt es ja in einem Sprichwort…und ehrlich ist sie obendrein. Und wie oft kommt es vor, dass wir uns gegenseitig Steine in den Weg legen…nicht so offensichtlich wie im Film, aber im übertragenen Sinne gemeint. „Jemandem Steine in den Weg legen“ ist ja auch ein feststehender Begriff. Ein Stolperstein für jemanden sein ist ein anderer. Manchmal nicht einmal beabsichtigt, sondern einfach aus Gedankenlosigkeit heraus oder aufgrund einer Unaufmerksamkeit.

Und jetzt komme ich zu den Unaufmerksamen – das sind die drei Personen, die über den Stein fallen. Sie haben Augen und Ohren ausgeschaltet für die Umwelt, sie sind nur mit sich selbst beschäftigt, sie blenden die Umgebung aus. Sie laufen mit Scheuklappen durch die Welt.

Sind wir nicht auch manchmal wie diese drei Personen? Interessieren uns für die große weite Welt und was darin passiert, aber den Nachbarn kennen wir nur vom Ansehen? Sind stolz auf uns und auf das, was wir leisten und sind, aber einen Hilfebedürftigen sehen wir nicht? Genießen den Augenblick und unser ganzes Leben und vergessen dabei, dass es auch noch Leute neben uns gibt? Wo sind wir blind? Blinder als der Blinde im Video? Wir sollten mal darüber nachdenken.

Und nun komme ich zu dem Wachsamen. Er ist eigentlich derjenige, der Hilfe nötig hätte, Führung und Weisung, denn er ist blind. Ihm bieten wir am ehesten unsere Hilfe an. Doch er braucht sie gar nicht, unsere Hilfe. Denn dafür sind seine anderen Sinne viel mehr als bei den anderen geschärft. Und außerdem hat er ein Hilfsmittel dabei: seinen Blindenstock. Mit dem hat er die Chance, und er nutzt sie. So kommt er wohlbehalten an sein Ziel.

Was können wir hieraus lernen?

Beobachten ist schön, interessant und gut.
Fällt euch auf, dass in diesem Wort „Beobachten“ das Wort „Achten“ steckt? Beobachten heißt also auf den anderen achten, es heißt auch den anderen achten. Was der Beobachter in unserem Filmchen macht, ist aber alles andere als auf die anderen achten oder die anderen achten. Es hat eher etwas mit Verachten zu tun.

Richtiges Sehen können wir lernen.

Die richtige Brille aufsetzen – nicht nur die Brille, die manchmal auf der Nase drückt, sondern auch im übertragenen Sinne zu verstehen. Eine Brille, die uns befähigt, den anderen zu sehen, seine Schwächen, seine Stärken, seine Liebenswürdigkeiten, seine Schönheit. Den anderen so zu sehen, wie ihn Gott bereits sieht.

Und in dieser Brille können wir auch uns so sehen, wie wir sind. Nicht wie die Katze, die in den Spiegel sieht und einen Löwen meint zu erblicken. Aber auch nicht umgedreht – ein Löwe, der nur ein Kätzchen sieht.

Und wir dürfen auch das Gute sehen, nicht wie der Walt Wrobel im Gedicht von Kurt Tucholsky (Gedichte und Lieder 1923-1925)

Die fünf Sinne

Fünf Sinne hat mir Gott, der Herr, verliehen, mit denen ich mich zurechtfinden darf hienieden:
Fünf blanke Laternen, die mir den dunkeln Weg beleuchten;
bald leuchtet die eine, bald die andre –
niemals sind alle fünf auf dasselbe Ding gerichtet …
Gebt Licht, Laternen –!

Was siehst du, Walt Wrobel –?

Ich sehe die entsetzliche obere Häuserfront der Berliner Straßen, unerbittlich, scharf liniiert, schwärzlich kasernenhaft;
ich sehe neben dem unfreundlichen Mann am Schalter die kleine schmutzige Kaffeekanne, aus der er ab und zu einen Zivilschluck genehmigt;
ich sehe das Skelett des Tauchers, ausgestreckt auf dem Meeresgrund, der Taucherhelm ist aufgeplatzt, und durch die Luken des untergegangenen Schiffs fliegt ein Schwarm Fische an die ehemalige Bar, sie rufen: »Sherry-Cobler –!«;
ich sehe den ehrenwerten Herrn Appleton aus Janesville (Wisconsin) auf der Terrasse des Boulevard-Cafes sitzen, lachende Kokotten bewerfen ihn mit Bällchen, er aber steckt seinen hölzernen Unterkiefer hart in die Luft;
ich sehe das blonde Gesicht des jungen Diplomaten, der mit nachlässigem Monokel erzählt: »Seinerzeit, während der sojenannten Revolution … «;
ich sehe den kleinen Jungen vor der Obsthandlung stehen und sein Pipichen machen, nachher stippt er den Finger hinein und malt Männerchen aufs Trottoir, das ist nicht hübsch von dem Kind –
Das sieht mein Gesicht.

Wir sehen also: Es gibt verschiedene Arten des Sehens…hier sieht einer nur das Negative, er hat seinen Fokus auf die Schattenseiten gelegt, ist blind für die Schönheiten, die das Leben uns doch bietet. Dagegen sehen manche das Schöne, so wie wir hier die Blumen sehen, die Sonne, die scheint, die Bäume, die bald wieder grün werden und und und….

Ich habe einen Artikel gefunden über die Individualität der Augen…kurz noch etwas daraus:

Es gibt Scanner-Augen: sie tasten den anderen ab, so wie ein Scanner an der Supermarkt-Kasse den Code abliest. Diese Augen sehen nur die Oberfläche und beurteilen oberflächlich.

Es gibt Psycho-Augen: sie deuten die Mimik und Gestik des anderen und bewerten sie. Sie sehen nur einen winzigen Ausschnitt aus dem Leben des anderen und wissen nicht, was ihn dazu bringt, so und nicht anders zu reagieren. Wüssten wir manchmal mehr über den anderen, würden wir uns für das vorschnelle Urteil sicher schämen.

Dann gibt es aber noch die Herzens-Augen: das ist das Sehen, das das Innere eines Menschen sieht. „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.“ So sagt der Fuchs zum kleinen Prinzen bei Antoine de Saint-Exupéry. Das Innere eines Menschen sehen heißt ihn wirklich so zu sehen, wie ihn Gott sieht, so zu sehen, wie ihn Gott gemeint hat. Es gibt aber auch das Sehen, das der Blinde im Video gezeigt hat, das „innere“ Sehen. Das Sehen, das nicht darauf angewiesen ist, dass einer wirklich mit den Augen alles erblicken kann.

Und als letztes gibt es die Glaubens-Augen: das sind Augen, die transparent sind, um Gottes Herrlichkeit zu sehen. Das Wunderbare im Kleinen, im Alltäglichen entdecken. „Es sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn“, so singt Matthias Claudius in seinem Lied. Und Jesus hat gesagt: Selig sind die Augen, die sehen, was ihr seht. Es kommt nicht auf gute, scharfe Augen an, dass man keine Brille braucht oder nicht blind ist. Sondern selig sind die Augen, die Jesus sehen.

Und jetzt komme ich zu einem fünften, zum Besten: zu Gottes Augen. Hiob hat gesagt: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt…ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder.

„Ich will dich mit meinen Augen leiten“, verspricht Gott in Psalm 32,8. Seine Augen sehen immer klar und haben alles im Blick. Nichts kann seinen Blick trüben oder seiner Sicht entgehen, denn „Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.“

Wer sich Gottes Führung überlässt, dessen Sichtweise wird er ändern – weg vom unbarmherzigen Scanner-Blick zu einem Sehen mit den Augen des Herzens.

Ich möchte noch mit euch beten:

Danke, Vater, dass du uns das richtige Sehen geben willst, das Sehen, das den anderen sieht und nicht nur uns selbst. Amen.

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