Die folgende Predigt habe ich das erste Mal am 25.08.2013 in der kleinen Gemeinde Crossen bei Zwickau gehalten – es war wie heute der 13. Sonntag nach Trinitatis und der Wochenspruch lautet: Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Matthäus 25,40
Ein alter frommer Rabbi lag schwer krank im Bett, und seine treuen Schüler standen um sein Lager herum und lobten seine beispiellose Größe. „Seit Salomo gab es niemanden, der weiser wäre als er!“ – „Und sein starker Glaube gleicht dem unseres Vaters Abraham!“ – „Seine unendliche Geduld ist der Geduld des Hiob gleich!“ – „Wie Moses hat er einen vertrauten Umgang mit Gott selbst!“
So sprachen die Schüler und bewunderten ihren Meister. Doch der schien keine Ruhe zu finden. Nachdem die Schüler gegangen waren, versuchte seine Frau ihn zu trösten: „Hast du gehört, wie deine Schüler deine Tugenden gelobt und dich bewundert haben? Warum bist du dann noch so betrübt?“ — „Meine Bescheidenheit“, klagte der Rabbi, „meine große Bescheidenheit hat niemand von ihnen erwähnt!“—-(Quelle: Axel Kühner: Zuversicht für jeden Tag, 12. Juli)
Eigenlob stinkt, dieses bekannte Sprichwort kann man hierzu nur sagen. Und ich liebe Sprichwörter und Redensarten – wer mich näher kennt, wird das sicher bestätigen.
Ein ebenfalls ganz bekannter Spruch lautet „Heimlichkeiten sind Schlechtigkeiten“ –.
Ganz anders hat es Jesus einst formuliert. Und das soll unser heutiger Predigttext ausführlicher aussagen. Bevor ich jedoch näher darauf eingehe, lasst Euch mit hineinnehmen in unseren heutigen Text und in das Drumherum, in das er eingebettet ist. Er stammt aus der Bergpredigt, die Jesus gehalten hat, Bergpredigt deshalb, weil sie am Fuße eines Berges gehalten wurde.
Die drei Kapitel, die diese Bergpredigt enthalten, beginnen mit den Worten: „Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie.“
Viele kennen aus der Bergpredigt nur die Seligpreisungen, und dann hört es schon fast auf….Doch in der Bergpredigt – einer Sammlung kurzer Aussprüche, Gleichnisse und Thesen, die alle als Auslegung der jüdischen Tora gelten können – steht noch viel viel mehr.
Jesus geht auf die alttestamentlichen Gebote ein und steigert sie, er spricht von der Erfüllung des Gesetzes – er will das Gesetz ja nicht aufheben, sondern erfüllen, und in diesem Sinne geht es weiter mit Reden über das Schwören, über die Vergeltung und über die Feindesliebe. Unmittelbar daran anschließend folgt unser heutiger Predigttext.
Ich lese Matthäus 6,1-4:
Vom Almosengeben
1 Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
2 Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
3 Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut,
4 damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.
Amen.
Tu Gutes und sprich darüber – sooooo meinte es Jesus nicht…
Zur Zeit Jesu wurde neben der Keuschheit die Wohltätigkeit als das auffälligste Merkmal des jüdischen Lebens angesehen. In den Ortsgemeinden wurde die Armenpflege organisiert; die Mitglieder dieser Organisationen spendeten wöchentlich Geld oder Naturalien.
Aber auch eine private Wohltätigkeit wurde geschätzt und gelobt, und zwar in aller Art von Liebeswerken. In den rabbinischen Schriften sind dazu bemerkenswerte Gedanken zu finden:
Man soll mit bescheidenem und liebevollem Herzen die Armen beschenken; Gott schätzt das Geschenk nach Maßgabe der Liebe, nicht des Betrags = bei Jesus wird das Scherflein der Witwe auch höher eingeschätzt als eine große Spende, die ein Reicher tätigt, ohne dass es ihm weh tut – wir sagen heute dazu: er nimmt es aus der Portokasse.
Was wir geben, sind nicht nur Geschenke, sondern immer auch Stücke von uns selbst.
Die Wohltat – so ist es weiter beschrieben – soll immer zuerst den am nächsten Stehenden zugewendet sein. Der Beschenkte soll durch die Wohltätigkeit jedoch nicht beschämt werden, die Liebesgabe soll dem Armen oder Verarmten gewidmet werden, ohne sein Ehrgefühl zu verletzen. Darum ist es empfehlenswert, anonym zu helfen, zum Beispiel mittels des Tempels. Der Geber soll seine Möglichkeiten nicht übersteigen (konkret werden etwa 20% des Einkommens empfohlen). Also nicht nur der Zehnte, sondern ein Fünftel des Einkommens…
Ganz modern klingt der Gedanke, dass dem Verarmten durch die Unterstützung geholfen werden soll, sich selber wieder emporarbeiten zu können.
Laotse hat einmal gesagt: Gib einem Hungrigen einen Fisch und er ist einen Tag lang satt, lehre ihn fischen und er wird nie mehr hungern.
Das ist tätige Nächstenliebe – dem anderen dauerhaft aufhelfen und ihn nicht in Abhängigkeit bringen oder in der Abhängigkeit belassen.
Jesus beginnt unseren Predigttext mit einer Warnung: wir sollen uns vor der Versuchung hüten, unsere Frömmigkeit durch Almosengeben / durch Wohltätigkeit zur Schau zu stellen. Keiner soll darauf achten, dass es auch ja von anderen gesehen und registriert wird.
Charles Haddon Spurgeon hat es folgendermaßen formuliert:
„Denen, die Almosen geben, um von den Menschen gesehen zu werden, wird keine Verheißung erteilt. Sie haben ihren Lohn dahin und können nicht erwarten, zweimal bezahlt zu werden.
Lasst uns unsere Wohltätigkeit verbergen, sogar vor uns selbst. Gib ganz selbstverständlich so oft und so viel, dass du darauf, das du den Armen geholfen hast, nicht mehr achtest als darauf, dass du deine regelmäßigen Mahlzeiten eingenommen hast.
Gib deine Almosen, ohne dir auch nur zuzuflüstern: „Wie freigebig bin ich!“ Versuche nicht, dich auf diese Weise zu belohnen! Überlass die Sache Gott, der niemals verfehlt, zu sehen, in sein Buch einzutragen und zu belohnen! Gesegnet ist der Mann, dessen Freundlichkeit im Verborgenen tätig ist! Seine unbekannten Wohltaten bringen ihm einen besonderen Segen. Dies Brot, verstohlen gegessen, ist süßer als die Festmahle der Könige. Wie kann ich mir heute diesen köstlichen Bissen verschaffen? Lasst mich ein wirkliches Fest der Mildtätigkeit und der Herzensfreundlichkeit haben! Hier und dort droben wird der Herr persönlich dafür sorgen, dass der, der im Verborgenen Almosen gibt, belohnt wird. Das wird auf seine Weise und zu seiner Zeit sein, und er wird die allerbeste Belohnung wählen. Wie viel diese Verheißung bedeutet, wird erst die Ewigkeit zeigen.“
So viel zu Spurgeon.
Der Vater sieht uns. Der Vater ist das Maß und das Schlüsselwort in unserem Abschnitt. Nicht nur die Wohltätigkeit, auch die anschließend genannten frommen Tätigkeiten Gebet und Fasten – die nicht zu unserem heutigen Text gehören – sollen nur getan werden, um Gottes Wohlgefallen zu erlangen, und nicht, um von den Menschen geehrt zu werden.
Es gibt eine alte jüdische Legende, die ich euch jetzt erzählen will.
Zwei Brüder wohnten einst auf dem Berg Morija. Der jüngere war verheiratet und hatte Kinder, der ältere war unverheiratet und allein.
Die beiden Brüder arbeiteten zusammen, sie pflügten das Feld zusammen und streuten zusammen den Samen aus. Zur Zeit der Ernte brachten sie das Getreide ein und teilten die Garben in zwei gleich große Haufen: für jeden einen Haufen.
Als es Nacht geworden war, legte sich jeder der beiden Brüder bei seinen Garben nieder, um zu schlafen. Der Ältere aber konnte keine Ruhe finden und sprach in seinem Herzen: „Mein Bruder hat eine Familie, ich dagegen bin allein und ohne Kinder und doch habe ich gleich viele Garben genommen wie er. Das ist nicht recht.“
Er stand leise auf und nahm von seinen Garben und schichtete einen Teil davon heimlich auf den Haufen seines Bruders. Dann legte er sich wieder hin und schlief ein.
In der gleichen Nacht, eine geraume Zeit später, erwachte der Jüngere. Auch er musste an seinen Bruder denken und sprach in seinem Herzen: „Mein Bruder ist allein und hat keine Kinder. Wer wird in seinen alten Tagen für ihn sorgen?“ Und er stand auf, nahm von seinen Garben und trug sie heimlich und leise zum Haufen seines älteren Bruders.
Als es Tag wurde, erhoben sich die beiden Brüder, und jeder war erstaunt, dass die Haufen die gleiche Größe hatten wie am Abend zuvor. Aber keiner sagte zum anderen ein Wort.
In der folgenden Nacht wartete jeder ein Weilchen, bis er den anderen schlafend wähnte. Dann erhoben sie sich, und jeder nahm von seinen Garben, um sie zum Haufen des anderen zu tragen.
Auf halbem Weg trafen sie plötzlich aufeinander, und jeder erkannte, wie gut es der andere mit ihm meinte. Da ließen sie die Garben fallen und umarmten einander in herzlicher und brüderlicher Liebe. Gott im Himmel aber schaute auf sie hernieder und sprach: „Heilig ist mir dieser Ort. Hier will ich unter den Menschen wohnen!“
Diese Geschichte zeigt, wie Menschen selbstlos anderen Gutes tun, und wie sie dafür von Gott belohnt werden. Gerade indem sie selbstlos dem jeweils anderen Bruder etwas Gutes tun, indem sie Liebe schenken, ohne etwas dabei für sich herausschlagen zu wollen, kommt diese Liebe wieder zu ihnen zurück.
Sie erfahren Nähe und erleben eine Verbundenheit, die einfach ein Geschenk des Himmels ist, sie spüren eine herzliche und brüderliche Liebe, die gegenseitig ist.
Bis heute erfahren Menschen, die selbstlos Gutes tun, immer wieder, wie Liebe zu ihnen zurückkommt. Wie sie auf einmal von anderen beschenkt werden, wie die Freude, die sie anderen machen, wieder auf sie zurückfällt. Keine gute Tat, die selbstlos und ohne Hintergedanken getan wird, bleibt so ohne Wirkung. Gott lässt etwas davon auf uns zurückfallen.
Jetzt in diesem Leben und sicherlich auch in der Ewigkeit. Keine gute Tat wird bei ihm vergessen werden. Dieses unerwartete Zurückkommen der Liebe, die wir selbstlos gegeben haben, das ist der Lohn Gottes.
Ein grundsätzlicher Refrain aller drei Mahnungen zur wahren Frömmigkeit wiederholt: »Dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten« (V. 4.6.18). Er ist die eigentliche Pointe der Mahnung: Die wahre Frömmigkeit soll auf Gott, den Vater, nicht auf die Öffentlichkeit hin orientiert sein.
Es scheint fast unglaublich zu sein, dass es Heuchler gab, die lautstark die Aufmerksamkeit auf sich zogen, wenn sie in der Synagoge ein Opfer oder auf der Straße einem Bettler ein Almosen gaben.
Heutzutage ist es gang und gäbe, dass ein Spender im Fernsehen groß gefeiert wird – ein riesengroßer Scheck wird überreicht, damit ja auch jeder die Zahl darauf lesen kann.
Der Herr lehnt dieses Verhalten mit dem knappen Kommentar ab: »Sie haben ihren Lohn dahin« (d. h. ihr einziger Lohn ist der Ruf, den sie sich damit auf Erden erwerben).
Wenn ein Nachfolger Christi ein Almosen gibt, dann sollte das im Verborgenen geschehen. Es sollte so geheim geschehen, dass Jesus seinen Jüngern sagte: »Wenn du aber Almosen gibst, so soll deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut.«
Jesus benutzt diesen bildlichen Ausdruck, um zu zeigen, dass unsere Almosen, unsere guten Gaben, für den Vater bestimmt sind und nicht dazu dienen sollen, den Geber groß herauszustellen.
In der heutigen Zeit wird die Redewendung „die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut“ eher in einem anderen Zusammenhang gebraucht – wenn widersprüchliche Anordnungen erlassen werden oder wenn eine Information nicht weitergegeben wurde und dadurch Chaos und Unsicherheit entsteht.
Die linke Hand soll nicht wissen, was die rechte tut heißt auch:
Nicht die Tat an sich wird verurteilt, sondern die Haltung, die dahintersteht. Wenn öffentliche Anerkennung die Motivation ist, dann bleibt diese Anerkennung auch der einzige Lohn, denn Gott belohnt Heuchelei nicht.
Wo Menschen aber wirklich selbstlos Gutes tun, beginnt der Himmel auf Erden. Für die Empfänger des Guten, aber auch für die Täter selbst. Dann wird auch das geschehen, was Jesus in Matthäus 25 voraussagt:
37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?
40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Diese Gerechten, wie sie Jesus hier nennt, haben ganz vergessen, was sie Gutes getan haben, aber Gott, der König, hat es nicht vergessen…
Und der Lohn, den wir dadurch bekommen, ist ein viel besserer und größerer als wir jemals erhofft haben. Wer sich nur aus Profilierungssucht oder um gut dazustehen mit guten Taten schmückt, hat nicht nur mit Ansehen zu rechnen, er kann auch die negative Seite erleben – den Neid, die üble Nachrede:
„Seht mal, der macht alles nur um gut dazustehen, aber wenn man sieht, wie er mit seinen Mitmenschen oder Angestellten umgeht, dann weiß man doch, dass nichts dahintersteht“ – so oder ähnlich haben wir es doch sicher schon gehört.
Wo viel Licht auf jemand fällt, suchen die Leute nach den schwarzen Flecken auf dem Kittel. Der Lohn, den Menschen für gute Taten bieten können, ist also eine sehr zweischneidige und oft problematische Sache. Eine sehr vergängliche noch dazu.
Die Liebe aber, die Menschen geben und empfangen, die bleibt. Schon Paulus schrieb in seinem ersten Brief an die Korinther: „Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und hätte der Liebe nicht, so wäre mirs nichts nütze.“ Alles vergeht, die Liebe aber bleibt.
Lasst uns noch einmal den ersten Satz unseres Textes betrachten:
Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
Dieser erste Satz unseres Kapitels beinhaltet die Zusammenfassung aller drei nachfolgenden Beispiele. Ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel, ja, das wird so sein, weil wir ja unseren Lohn bereits haben – das so vergängliche Ansehen bei den Mitmenschen.
Darum ist der Lohn, den Gott uns schenkt, indem er die Liebe die wir geben, auf uns zurückfallen lässt, der bessere Lohn.
Wie sieht es damit heute bei uns aus? Jeder hat doch ein Bedürfnis nach Anerkennung und Lob. Und das ist auch in Ordnung.
Aber was ist unsere Motivation? Fragen wir uns immer, aus welchem Grund wir etwas tun? Spenden können wir anonym geben, aber schon eine ehrenamtliche Mitarbeit kann gar nicht verborgen sein.
Ich wünsche uns allen, dass wir nicht vergessen, dass auch eine Mitarbeit oder die Möglichkeit der Mitarbeit eine Gnade ist, eine Gabe Gottes, die wir nicht aus eigener Kraft vollbringen.
Bescheidenheit, wirkliche Bescheidenheit, die anders aussieht als die bei dem Rabbi in meiner Eingangsgeschichte, die wünsche ich uns allen.
Amen.