Diese Predigt habe ich das erste Mal am 21.12.2014 in Gera gehalten. Mit leichten Abwandlungen habe ich sie hier veröffentlicht.
Lukas 1, 39-55
Es gibt Begegnungen zwischen Menschen, die Weltgeschichte schreiben können….
Da treffen zwei hochrangige Politiker aufeinander und handeln die nächsten Schritte zwischen den Weltmächten aus…
Da werden Handelsabkommen abgeschlossen, die sich auf die gesamte Weltbevölkerung auswirken oder zumindest auf die sogenannte westliche Welt…
Da werden Ehen geschlossen, die aus zwei Ländern eines machen können oder es wenigstens sollen…
Aber wohl kaum ist ein Treffen zwischen zwei Menschen, genauer gesagt zwischen zwei Frauen jemals ungewöhnlicher gewesen als ein Treffen, das vor ziemlich genau 2000 Jahren stattfand, das Treffen zwischen Elisabeth und Maria:
Elisabeth, eine Frau in schon vorgerücktem Alter, die nach menschlichem und biologischem Ermessen keine Kinder mehr bekommen konnte, Elisabeth ist im sechsten Monat schwanger – eine Zeit, in der die Kindsbewegungen schon deutlich zu spüren sind und die Schwangerschaft unübersehbar ist.
Maria, eine junge Frau, wohl eher noch ein junges Mädchen – heute wird vermutet, dass sie zwischen zwölf und vierzehn Jahren alt gewesen sein mag, Maria, die zwar verlobt, aber noch nie mit einem Mann zusammen gewesen ist, diese Maria hat erfahren, dass sie schwanger wird.
Maria wird als sehr gottesfürchtig beschrieben, darum glaubt sie den Verheißungen des Engels, der ihr alles überbracht hat, und sie ist bereit zu den außergewöhnlichen Vorkommnissen, die auf sie zukommen.
Doch sie braucht jemanden, mit dem sie ihr Wissen teilen kann – Joseph, ihr Verlobter, ist dafür eher nicht geeignet, dem kann sie das nicht erzählen, er wäre damit erst einmal überfordert. Ihre Eltern, Anna und Joachim, kann sie damit auch nicht konfrontieren, will sie sich nicht kompromittieren und womöglich ausgestoßen werden.
So geht sie zu Elisabeth, von der sie soeben durch den Engel erfahren hat, dass diese schwanger ist…Elisabeth hält sich verborgen, weil sich sonst die Leute aus ihrer Nachbarschaft über ihre Schwangerschaft bestimmt den Mund zerrissen hätten. Maria ist wahrscheinlich die erste Außenstehende, die überhaupt von der späten Schwangerschaft der Elisabeth erfährt.
Und so macht sich das junge Mädchen auf und wandert in die Berge zu ihrer entfernten Verwandten Elisabeth.
Sie geht zu Elisabeth, nicht weil sie in irgendeiner Weise an den Worten des Engels zweifelt, sondern weil sie sich darüber freut und bestätigt sehen will, was ihr verkündigt worden ist. Sie hat Vertrauen zu der viel Älteren – Vertrauen, das uns heute teilweise abhanden gekommen ist…
Noch einige Male in ihrem Leben wird Maria aufbrechen und einem neuen, unerwarteten Ziel entgegengehen:
– Im hochschwangeren Zustand wird sie mit Joseph nach Bethlehem laufen müssen, um sich in die Einwohnerlisten eintragen zu lassen aufgrund einer Laune des regierenden Kaisers
– als junge Mutter wird sie mit Mann und Kind nach Ägypten fliehen, um das Leben ihres Sohnes vor dem Zugriff des Königs Herodes zu bewahren
– als Mutter eines Zwölfjährigen wird sie diesen suchen und völlig unvorbereitet auf diese Situation im Tempel unter den Schriftgelehrten finden
– nach etlichen Jahren, als nicht mehr ganz so junge Frau – sie mag dann ca. 46 Jahre alt sein – wird sie nach Golgatha gehen und dort den grausamen Kreuzestod ihres ältesten Sohnes miterleben.
Dagegen ist diese Wanderung zu Elisabeth vergleichsweise harmlos und einfach, weiß sie doch, wohin sie geht und wer sie begrüßen wird. Diese Begrüßung fällt allerdings außergewöhnlich aus.
Das Ungeborene, das Elisabeth trägt – sie weiß ja, dass es ein besonderes Kind sein soll mit einer besonderen Aufgabe – dieses Ungeborene erkennt zuerst, wer ihm und seiner Mutter da entgegentritt. Und schon ein Ungeborenes kann Freude empfinden, und so hüpft es im Leib der Mutter. Es scheint eine andere Kindsbewegung als sonst zu sein, denn Elisabeth begreift sofort, dass hier etwas Besonderes passiert.
Und sie begrüßt Maria mit den überschwänglich anmutenden Worten:
Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!
Und wie geschieht mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?
Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe.
Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.
Das sind Worte, die man sonst eher selten hört. Worte, die sich Elisabeth nicht vorher zurechtgelegt hat, sondern Worte, die ihr eingegeben werden, und ich wage zu sagen – durch den heiligen Geist, wie auch in der Erzählung betont wird.
Elisabeth kann ja gar nicht wissen, was der Engel Maria angekündigt hat – und doch gebraucht sie Worte wie „Mutter meines Herrn“ – woher soll sie das bloß wissen, wenn nicht durch den Heiligen Geist?
Elisabeth wird also vom Heiligen Geist erfüllt – nicht erst zu Pfingsten, nein in manchen anderen Geschichten ist schon von der Wirkung des Heiligen Geistes die Rede…auch Zacharias wird in wenigen Wochen vom Heiligen Geist erfüllt werden.
Wir können ihn damit in eine ganze Reihe von Geistbeseelten Menschen aus dem Alten Testament einordnen wie beispielsweise König David, der für seine Lieder – viele Psalmen – bekannt ist oder wie Hanna, deren Lobgesang wir in der alttestamentlichen Lesung gehört haben.
Wie wir sehen: Lieder sind oft ein Ausdruck dafür, dass Menschen vom Heiligen Geist ergriffen wurden.
Nun aber zu Elisabeth – sie ist be“geist“ert im wahrsten Sinne des Wortes – sie nennt Maria „gepriesen“ und „selig“ – in den neueren Übersetzungen heißt das „gesegnet“, „glücklich“, „auserwählt“…
Und mit ihrer Be“geist“erung steckt sie Maria regelrecht an!
Maria beginnt ebenfalls überschwänglich zu reden…eines der bekanntesten Loblieder in der Bibel überhaupt – sie stimmt das „Magnificat“ an…
Dieses Loblied besteht größtenteils aus Zitaten und Anspielungen aus dem Alten Testament und weist Anklänge an den Lobpreis der Hanna aus. Wir haben beide Lobgesänge in den Lesungen gehört.
Lasst uns das Magnificat etwas näher betrachten.
Ich lese noch einmal die Verse 46 – 55 aus dem Lukasevangelium, Kapitel 1:
46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,
47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.
Amen.
Maria spricht oder singt dieses Loblied als Antwort auf die Gnade, die sie erfahren hat – die Gnade, den Messias zur Welt bringen zu dürfen…die Worte des Engels klingen noch immer in ihr nach „Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden“ und auch „sein Reich wird kein Ende haben“…
Maria ist überwältigt, weil sie sich gar nicht als würdig empfindet, sie sieht sich als freundlicher angesehen als die gepriesene Rahel, als die gesegnete Hanna, als die fromme Ruth oder die königliche Esther – sie ist sich keines Vorzugs bewusst, umso größer empfindet sie die Bevorzugung, die ihr zuteil wird.
Doch sie will nicht als heilig angesehen werden, sie will nicht, dass Menschen sie anbeten, man soll sie nicht als Gottes Mutter, als Königin des Himmels ehren – der ganze Marienkult, der in manchen Konfessionen getrieben wird, ist nicht in ihrem Sinne.
Aber sie ist glücklich, sie weiß, dass sie in all ihrer Kleinheit emporgehoben wird, sie sieht, dass sie in all ihrer Niedrigkeit Geschichte schreiben darf. Das erschreckt und beglückt sie gleichzeitig.
Wir können von Maria lernen, dass wir ihre Glaubenshaltung annehmen:
– wenn wir unsere eigene Kleinheit erkennen,
– aber auch wenn wir erkennen, dass Gott der Herr in unserem Leben ist und in der ganzen Menschheitsgeschichte, angefangen beim Volk Israel
Maria sieht, was der Herr Großes tut – ihre Worte erinnern an den Psalm 126, wo es heißt: Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden … Dann wird man sagen unter den Völkern „Der Herr hat Großes an uns getan“.
Mechthild von Magdeburg, eine christliche Mystikerin aus dem 13. Jahrhundert, hat die Worte der Maria folgendermaßen ausformuliert:
Ich lobe dich, Herr, errettet durch deine Barmherzigkeit.
Ich lobe dich, Herr, geehrt durch deine Erniedrigung.
Ich lobe dich, Herr, geführt durch deine Milde.
Ich lobe dich, Herr, regiert durch deine Weisheit.
Ich lobe dich, Herr, beschirmt durch deine Macht.
Ich lobe dich, Herr, geheiligt durch deine Gnade.
Ich lobe dich, Herr, erleuchtet durch dein inneres Licht.
Ich lobe dich, Herr, erhöht durch deine Güte.
Maria geht in ihren Worten noch weiter – sie spricht revolutionäre Worte aus, Worte, die in die Zukunft weisen. Sie spricht davon, dass Große und Mächtige von ihren selbstgemachten Höhen herabstürzen werden…die Hungrigen werden gesättigt, sie werden mit Gütern gefüllt, und die Reichen werden leer ausgehen.
Dieses Lied der Maria ist das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde.
Es ist nicht die sanfte, zärtliche, verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht….ein hartes, starkes, unerbittliches Lied von stürzenden Thronen und gedemütigten Herren dieser Welt, von Gottes Gewalt und von der Menschen Ohnmacht….so hat Dietrich Bonhoeffer das Magnificat und seine Sängerin gesehen.
Die Gewaltigen und Reichen sind Gott in seiner Planung kein Hindernis. Schon im Psalm 2,4 steht: Aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer.
Und Jesus sagt in Matthäus 23,12: Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.
Maria hat es uns vorgelebt, was das heißt.
Und sie rühmt den himmlischen Vater wegen seiner Treue, die er gegenüber seinem Volk Israel gezeigt hat. Sie lobt ihn, weil er seinem Volk eine hilfreiche Hand hingereicht hat – so wie er uns auch die hilfreiche Hand hinhält…wir brauchen sie nur zu ergreifen.
Gott ist barmherzig, so sagt Maria in ihrem Lobgesang. Er zürnt nicht ewig. Schon in Jesaja 54,7 und 8 sagt er: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
Und diese Gnadenzeit ist nun angebrochen, das will uns Maria mit ihrem Lobgesang sagen.
Wenn ein König sich ankündigt, dann bricht die Vorfreude auf. Freude auf den Besuch, der kommen will. Doch hier ist es nicht nur ein Besuch, sondern er will für immer bei uns bleiben und in unseren Häusern, in uns wohnen.
Das Magnificat ist das älteste Adventslied überhaupt. Und es ist aktuell wie kaum zuvor. Die Zukunftsmusik ist keine Zukunftsmusik mehr. Sie kann unsere Gegenwart bestimmen. Gottes Zukunft ist angebrochen in denen, die ihn in sich tragen – schon jetzt.
Lassen wir unsere Gegenwart durch dieses Lied bestimmen? Was hat das für Konsequenzen?
Plötzlich hat das Lied zu tun mit den Massenvernichtungswaffen, und wir singen gegen den Wahnsinn an. Keiner soll sagen, böse Menschen haben keine Lieder. Sie haben Lieder, und was für welche. Aber mit einem Lied wie dem Magnifikat können wir dagegen ansingen.
Plötzlich hat das Lied zu tun mit denen im Dunkeln, und ich sehe sie. Sie leben neben mir, in meiner Stadt, und ich werde aufmerksam auf sie.
Plötzlich hat dieses Lied zu tun mit den Menschenverächtern, mit denen, die heute wieder ganz groß die braunen Parolen schreien und mit denen, die lauthals brüllen „Ausländer raus!“
Meine Konsequenzen, unsere Konsequenzen?
Wir hören auf, der Macht Opfer zu bringen. Wir wählen keine Großsprecher mehr.
Advent ist nicht nur ein schönes feierliches Gefühl, nicht nur Zeit der Besinnung, sondern wirklich Gottes Kommen in unsere Welt. Nicht nur unsere kleine bescheidene Welt, sondern die große Welt.
Und Maria?
Maria blieb noch 3 Monate bei Elisabeth, so steht es nach unserem Predigttext. Die beiden Frauen hatten sich mit Sicherheit noch einiges mitzuteilen, so manches Licht mag ihnen dabei noch aufgegangen sein.
Und so stelle ich sie mir vor, die beiden Frauen: Wie sie sich in den Armen liegen und sich freuen, wie sie reden über die kleinen und großen Alltagssorgen, über die Beschwernisse und Freuden der Schwangerschaft, wie sie Tee trinken und tuscheln und lachen, wie sie ernst werden, weil sie die göttliche Verheißung nicht fassen können, die auf ihnen und ihren Kindern liegen soll. Und immer wieder die Hände auf dem Bauch, guter Hoffnung eben.
Und als Dritter im Bunde, auch wenn er nicht genannt wird, ist Zacharias dabei…als stummer Zeuge für die Freude, die den beiden Frauen geschenkt wird bei ihrem Treffen, das im Verborgenen zustande kam und doch Weltgeschichte schreiben sollte. Und wenige Wochen später wird auch Zacharias einen Lobgesang anstimmen, das „Benedictus“, als sein Sohn Johannes geboren wird.
Lassen wir uns berühren von der Geschichte dieser beiden Frauen, von der Freude ergreifen, die sie ergriffen hat, von der Gewissheit, dass Gott sein Volk nicht verlässt, sondern immer wieder barmherzig auf uns zugeht.
Amen.