Das Doppelgebot der Liebe

100_4893-2Diese Predigt habe ich am 22.06.2014 in Wilkau-Haßlau bei Zwickau gehalten

Kennt Ihr noch den kleinen Katechismus von Luther? Im kirchlichen Unterricht durften wir die fast 100 Fragen damals nahezu auswendig lernen. Mir sind noch etliche Fragen und Antworten gegenwärtig – eine lautete „Wie heißt das vornehmste und größte Gebot?“ Und die Antwort – kennt Ihr sie noch?

DU SOLLST LIEBEN GOTT, DEINEN HERRN, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte. Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das andre aber ist ihm gleich: DU SOLLST DEINEN NÄCHSTEN LIEBEN WIE DICH SELBST.

Das sogenannte Doppelgebot der Liebe – so ist es vielen bekannt.

Was haben wir damals gelernt, um die Prüfung vor der gesamten Gemeinde zu bestehen…

Ich wurde von Siegmund Kobylinsky unterrichtet und geprüft. Er ist vielleicht sogar manchem hier auch noch in Erinnerung…

Das Auswendiglernen fiel mir nicht schwer – die Fragen konnte ich kreuz und quer beantworten…

Was ich damals nicht wusste und was mich auch gar nicht so interessierte – diese Antwort, die im kleinen Katechismus stand, die war doch tatsächlich wortwörtlich aus der Bibel genommen – Jesus hatte sie zu den Pharisäern gesagt. Und auch er hat nicht seine eigenen Worte benutzt – Jesus war in den alten Schriften bewandert und hat nur daraus zitiert.

Und diese alten Schriften sind nach wie vor aktuell – ich lese unseren heutigen Predigttext – wir haben ihn in der alttestamentlichen Lesung schon einmal gehört. Er stammt aus der Abschiedsrede des Mose, die er dem Volk Israel vor dem Einzug in das Gelobte Land gehalten hat.

Hier fasst er noch einmal die ganze Geschichte Gottes mit seinem Volk zusammen und ermutigt sie und hilft ihnen und uns, Gott ins Zentrum unseres Lebens einzulassen.
5.Mose 6,4-9

4 Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.

5 Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.

6 Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen

7 und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.

8 Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,

9 und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

Amen.

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.

Das „Schema, Israel“ ist von dem hebräischen Wort abgeleitet, das „Höre“ bedeutet. Höre, Israel – eine Aufforderung an die Juden, an das Volk Gottes, aufzuhorchen, zuzuhören, was ihnen gesagt wird.

Dabei ist eines interessant: Bei dem heutigen Predigttext handelt sich um das Glaubensbekenntnis Israels. Aber womit beginnt es? Es beginnt mit „Höre“!

Höre, Israel! Nicht mit „sprich“ oder „bekenne“ und auch nicht mit „(ich) glaube“ so wie unser Glaubensbekenntnis beginnt.

Hören, nicht reden. Stille sein.

„Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten. Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge.“ Das haben wir vorhin gesungen…hören und schweigen, das ist angesagt.

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.

In der damaligen Zeit – nein eigentlich zu jeder Zeit – also immer gab es verschiedene völlig unterschiedliche Götter. Und die Menschen, die zu diesen Göttern beteten und die nach dem Willen dieser Götter lebten, hatten immer Angst, bei Befolgen der Gebote des einen Gottes einen anderen Gott zu missachten und sich dessen Zorn zuzuziehen.

Mit den Worten „Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein“ wurde eine wahre Revolution ausgelöst – revolutionäre Gedanken, nur ein einziger Gott existiert, es gibt nur den einen, den einzigartigen Gott.

Damit waren die Israeliten den anderen Völkern weit überlegen, denn sie hatten nicht die Qual der Wahl…sie hatten und haben ja nur den einen einzigen Gott.

Und dieser einzige Gott hat ihnen und uns ein Gesetz gegeben, das offensichtlich, konsequent und wahr ist – die 10 Gebote.

Und diese lassen sich auf das Doppelgebot der Liebe reduzieren.

Das Doppelgebot der Liebe – wie ich es eingangs zitiert habe – wird in allen vier Evangelien überliefert.

Wie wir gerade gehört haben, ist es jedoch keine Erfindung des Neuen Testamentes, sondern kommt auch schon zumindest teilweise im Alten Testament vor.

Nämlich im nächsten Satz unseres Predigttextes:

Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.

Wenn ich einen Menschen liebe, dann werde ich ihm vertrauen, dann gehe ich mit ihm eine Bindung ein, dann bin ich beständig.

Den Herrn lieben bedeutet ebenfalls, mit ihm eine vertraute Bindung einzugehen. Den Herrn lieben bedeutet, seinen Geboten zu gehorchen. Das Gebot, ihn zu lieben, wird im Alten Testament, speziell im 5. Buch Mose, noch oft wiederholt.

Und es wird betont, dass dieses Lieben mit dem ganzen Herzen geschehen soll – also das ganze Gefühl wird hier mit hineingelegt – und es soll alle Lebensbereiche eines Israeliten durchdringen – die ganze Seele umfassen, und mit aller Kraft soll diese Liebe zum Ausdruck gebracht werden.

Die Liebe – das ist der Kern der Botschaft des Evangeliums.
Nicht nur im Neuen Testament, auch schon im Alten Testament geht es um die Liebe…

Gott hat uns zuerst geliebt, und weil wir geliebt werden, können wir auch ihn lieben. Gott sehnt sich danach, von uns Menschen geliebt zu werden (geliebt und nicht nur gefürchtet und verehrt.). Gott will als erstes geliebt werden.

In der Sonntagschulzeit hatten wir eher gelernt, dass der jüdische Glaube ein starrer Gesetzesglaube ist. Das Gesetz ist das wichtigste – und die Juden erfüllen das Gesetz mit einer starken Tendenz zur Gerechtigkeit, die nur aufgrund von Werken möglich ist. Selig werden aus Werken und nicht aus Glauben und schon gar nicht aus Liebe.

Dieser Vers hier aber macht deutlich, dass es Gott schon im Alten Testament um eine Liebesbeziehung zu seinen Menschen geht.

Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst. So hat es Jesus verkündet. Das hat er gelebt. Dafür ist Jesus gestorben und auch wieder auferweckt worden.
Diese Liebe trägt dann natürlich auch Früchte – sie zeigt Wirkung.
Wer liebt, denkt auch weiter – nicht nur bis zur eigenen Nasenspitze oder bis zum eigenen Tellerrand.

Ich möchte euch eine Geschichte erzählen, die ich bei Axel Kühner gefunden habe:

Gefährten oder Tod – so ist sie überschrieben.

Ein Weiser ging über Land und sah einen Mann, der einen Johannisbrotbaum pflanzte. Er blieb stehen, schaute ihm zu und fragte: „Wann wird der Baum wohl seine Früchte tragen?“

Der Mann antwortete: „In siebzig Jahren!“ Da sprach der Weise: „Du Tor! Denkst du, in siebzig Jahren noch zu leben und die Früchte deiner Arbeit zu ernten?

Pflanze lieber einen Baum, der früher Früchte trägt, dass du dich an ihnen freuen kannst, solange du lebst!“ Der Mann aber hatte sein Werk vollendet und freute sich an dem Baum.

„Weiser, als ich zur Welt kam, da fand ich Johannisbrotbäume und aß von ihnen, ohne dass ich sie gepflanzt hätte, denn das hatten meine Väter getan. Habe ich genossen, wo ich nicht gearbeitet habe, so will ich einen Baum pflanzen für meine Kinder und Enkel, dass sie davon genießen.

Wir Menschen können nur bestehen, wenn einer dem anderen die Hand reicht. Ich bin nur ein einfacher Mann, aber wir haben ein Sprichwort: Gefährten oder Tod!“

Genau das hat auch schon Mose in seiner Abschiedsrede gesagt, als er im Anschluss an unseren heutigen Predigttext folgende Worte spricht:

Wenn dich nun der HERR, dein Gott, in das Land bringen wird, von dem er deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat, es dir zu geben – große und schöne Städte, die du nicht gebaut hast, und Häuser voller Güter, die du nicht gefüllt hast, und ausgehauene Brunnen, die du nicht ausgehauen hast, und Weinberge und Ölbäume, die du nicht gepflanzt hast -, und wenn du nun isst und satt wirst, so hüte dich, dass du nicht den HERRN vergisst, der dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt hat.

Wer liebt, denkt weiter, wer liebt, sorgt vor, wer liebt, gibt diese Liebe weiter. Wir leben auch von den Früchten der Arbeit derer, die vor uns da waren.

Im Lukasevangelium wird der Zusammenhang des Doppelgebotes der Liebe so erzählt: Ein Gesetzeslehrer kommt zu Jesus und fragt ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen. Jesus stellt die Gegenfrage: Was liest du im Gesetz – also in der Thora und bei den Propheten.

Da zitiert der Gesetzeslehrer das Doppelgebot der Liebe. Jesus sagt daraufhin: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben. Für einen jüdischen Menschen zur Zeit Jesu drückte sich also die Liebe zu Gott im Halten seiner Gebote aus.

Ich muss zugeben: ich bin kein sehr geduldiger Mensch. Das wirkt sich leider auch häufig auf meinen Umgang mit anderen Menschen aus. Zum Beispiel regt es mich immer fürchterlich auf, wenn andere Autofahrer vor mir zu langsam fahren. Da könnte ich ins Lenkrad beißen…

Und manchmal reicht es schon aus, wenn andere Menschen ihren Satz nicht schnell genug beenden. Manchmal beende ich dann den Satz für sie. Ich habe dann sehr wenig Geduld für sie übrig – und leider auch sehr wenig Liebe.

Dabei sollte ich mich eigentlich gar nicht anstrengen müssen, andere zu lieben. In der Bibel steht in einem Brief des Jünger Johannes: „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“

Ich kann andere nur lieben, wenn ich Gottes Liebe annehme. Wenn ich mich verändern lasse durch Gottes Liebe – dann ist es nicht mehr anstrengend andere zu lieben. Dann ist es keine Last, sondern ein natürliches Weitergeben von Gottes Liebe.

Liebe zu Gott drückt sich – oder – ich sage es vorsichtiger – kann sich auch im Halten der Gebote Gottes ausdrücken.

Wer Gott liebt, gibt diese Liebe weiter.

Und an wen? Und wie?

Auch das sagt uns der Predigttext.

Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen

Das ist ein wundervolles Bild – sich etwas zu Herzen nehmen…

Als Kind nahm man seine Puppe oder seinen Teddy ans Herz, wenn man schlafen ging – gut, manche machen das auch noch als Erwachsene…

Und dann fühlte man sich geborgen – man war ja nicht allein, Puppe oder Teddy waren da…

Dieselbe Geborgenheit will uns das Wort vermitteln, das Gott zu uns spricht – seine Gebote wollen uns Halt geben, Leitplanken sein, die uns auf einer engen Straße davor bewahren abzustürzen.

Vor vielen Jahren war einmal das Thema zur Blankenburger Konferenz „Die 10 Gebote – Freiraum zum Leben“…

Heutzutage wird so oft von der Freiheit gesprochen – wir wollen frei sein, nichts soll uns einengen, wir sind freie Menschen – „Freie Fahrt für freie Bürger“ – und was es an Slogans noch alles gibt.

Wenn wir das ausleben, hat das Konsequenzen.

Freier Fall – auch hier ist das Wort frei enthalten – freier Fall gibt das Gefühl der Schwerelosigkeit, der Freiheit, doch er hat ein Ende – und das ist hart…nicht nur hart, sondern kann auch das endgültige Aus bedeuten.

Die Gebote geben uns den Freiraum, den wir brauchen – aber auch den Freiraum, den der andere braucht…

Aber wir sollen uns die Worte nicht nur zu Herzen nehmen, wir sollen sie auch weitergeben!

Und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.

Den Kindern einschärfen – nichts anderes haben wir damals als Kinder erlebt, als wir den kleinen Katechismus auswendig gelernt haben, nichts anderes machen wir, wenn wir uns einen Bibelspruch einprägen…

Die Eltern prägen es den Kindern ein, diese geben es später an ihre eigenen Kinder weiter…nicht unbedingt wie in einer Schulstunde, aber auch das kann ein Weg sein, und kein schlechter.

Und so nervig dieses Auswendiglernen oft ist – es hat eine unglaublich gute Auswirkung.

Ich arbeite in zwei Altenpflegeheimen – da sind viele Bewohner, die an Demenz erkrankt sind. Auch in meiner Gemeinde sind einige, die an Demenz leiden…sie vergessen, was vor fünf Minuten war, aber ein Bibelvers, eine Strophe aus einem Gesangbuchlied oder ein Erlebnis aus der Kindheit – das ist fest eingeprägt, das geht nicht so schnell verloren, das bleibt in der Regel noch lange Zeit erhalten. Und es kann ein Halt sein, wenn alles andere verloren geht…

Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

In den letzten Versen wird von der Verantwortung gesprochen, die wir haben…gegenüber den Nachkommen, gegenüber den Mitmenschen, gegenüber uns selbst…gegenüber Gott.

Verantwortung dafür, über das Wort Gottes nachzudenken – nicht nur anhören und in den nächsten Minuten vielleicht wieder vergessen – nachdenken darüber, was das Wort für uns bedeuten kann, nachdenken und dann das Wort verstehen und anwenden können.

Die Worte von Auf-die-Hand-Binden und An-die-Pfosten-des-Hauses-schreiben sind von manchen wörtlich genommen worden – es ist jedoch eher symbolisch zu verstehen…nämlich im Sinne von dran bleiben, aufnehmen und speichern, — und weitergeben.

Ich wünsche uns an diesem Tag zweierlei: einmal, dass wir Gottes Liebe selbst erfahren in unserer Lebenssituation; dass wir spüren: Gott ist mir nah – so, wie Jesus es verheißen hat: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“

Zweitens wünsche ich uns allen, dass wir eine Möglichkeit finden, Gottes Liebe zu erwidern; Gott unsere Liebe zeigen. Vom alten Volk Israel lernen wir, dass das Bewahren, Weitergeben und das Halten der Gebote Gottes ein Weg dafür sein kann Gott zu zeigen: Ich liebe Dich. Ich vertraue Dir. Ich gehöre Dir.

Amen.

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